Ungefähr voriges Jahr zur gleichen Zeit bekamen wir die Diagnose. Der Welt schönster blauer Schuhkarton hat Motorschaden. Steffen, unser KFZ-Magier weiß Rat und wo Hilfe zu bekommen ist. Schnell sind die Drähte gezogen, doch dann … ein neuartiger Virus grätscht dazwischen und lässt nicht nur Urlaubsträume platzen. Auch wir hatten uns schon bunt ausgemalt wie wir, gemütlich in den Sitzen hängend durch die Lande tingeln, Freunde treffen und neue Leute kennen lernen.
Nun liegen Teile des 1,3l Herzens repariert, aber für uns unerreichbar im befreundeten Nachbarland. Als sich ein schmales Zeitfenster auftut, kommen sie endlich nach Wochen wieder an. Erneut steigt die Hoffnung, vielleicht noch den Herbst nutzen zu können. Der Mechanicus gibt wirklich alles, entdeckt aber wenige Tage vor Reisebeginn am Getriebe eine Leckage, die nicht abzudichten geht. Bald ist klar, das wird nichts. Das Ersatzteil ist nur als Anfertigung zu bekommen… und das dauert. Also bauen wir, zunächst schweren Herzens ob der vergeblichen Vorfreude, dann aber mit immer mehr Lust, unser Familienvehikel zum Campervan um. Hochtrabend gesagt. Eigentlich bauen wir nur die Sitze aus. Matratze rein, Schlafsäcke, Kissen, Kuscheldecken, Weinflasche hinterher geworfen, Lichterkette in den Dachhimmel geknüpft. Fertig! Keep it simple. Es muß nicht immer das voll ausgestattete fahrende Wohnzimmer sein. Muß es eigentlich nie…
Die Erlebnissdichte ist bei einer modernen Karre a la Espace ähnlich, das Platzangebot für unsere Verhältnisse fürstlich, der Kultfaktor aber so lala. Außerdem stellt sich trotz der 140 Pferdestärken erst langsam eine Art Urlaubsgefühl ein. In den Taunus setzt man sich hinein und IST im Urlaub.
Die Unternehmung gelingt, und wir stoßen erneut in uns unbekannte Regionen vor. Mitten im eigenen Land (wer hätte das gedacht 😉 ). Eine verträumt, verregnete Nacht mit Panoramablick auf die Felsformationen des geliebten Elbsandsteins, holprige Feldwege zu einem stillen Kiefernwald bei Zossen. Mittagsschlaf irgendwo. Einfach den Stoppknopf drücken, ins Fond krabbeln und die Augen für ein paar Momente oder auch länger schließen. Das ist unser Weg. Dankbar lassen wir uns treiben, immer weiter nördlich, bis endlich an der Ostseeküste im kleinen Hotel eines guten Freundes schneeweiße Laken, eine Dusche und ein Glas Whisky auf uns warten.
Einfach so ohne Grund in der Gegend rumeiern? Nichts für mich! Höre ich einen Freund sagen. Aber Ja! Einfach so. Der Weg ist das Ziel. Und solange man die Augen offen hat, wird man nicht müde hin zuschauen, was die Welt zu bieten hat. Nicht nur in der Ferne.
Bedingt durch die viele Arbeit im Herbst bleiben uns doch nur wenige Tage, um so auszuspannen als wären es Wochen. Kleine Flüchte? Immer wieder gern und lieber als auf die große Freiheit hinzuwarten. Gemachte Pläne werden jäh durch eine Pandemie zerschreddert. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die noch übrig bleiben und doch so viel Schönes bringen können, wenn man sich aufrafft, sie geschehen zu lassen.
Wieder wartet die Arbeit. Bis weit in den November gibt es viel zu tun. Nur gut, daß wir unsere Antriebsfedern zwischendurch erneut aufziehen konnten! Irgendwie absehbar, und doch mag es kaum einer wahr haben. Eine Welle jagd die nächste und leider sind es nicht diese majestätischen Wellen aus Surferfilmen, sondern welche von der fiesen Art. Gesellschaftsspalter. Lockdown, harter Lockdown, Shutdown, Inzidenzen, Maskenpflicht, Ausgangssperre, Feiersperre, Verunsicherung , Verärgerung, Verschwörung.
Einsam steht der Ford und trotzt Sonne, Regen, Wind und Schnee. Das zu hoch gewordene Gras auf der Wiese um ihn herum wurde schon mehrmals abgemäht. Einzelne Halme, die der scharfen Klinge im Schutze seiner Stoßstange glücklich entgangen waren, vergehen nun im Frost der ersten eisigen Nächte. Warten. Die ersehnte Reparatur rückt näher.
Mai. Ein guter Monat, denn endlich kommt der erlösende Anruf. „Du kannst den Ford abholen.“ Zum Geburtstag habe ich mir nur eine Fahrt ins Blaue oder, im Blauen gewünscht.
Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Lack, Gummiteile und das Interieur fordern rückwirkend ein Jahr unterlassene Pflege ein. Viele Stunden später ist das Ergebnis endlich zufriedenstellend und der Pflegezustand wieder einwandfrei. Noch die drei kleinen Roststellen verarztet und der Wagen ist bereit, ausgeführt zu werden.
Endlich ist es soweit. Klapp! Die Türen fallen in die Schlösser, ein letzter Wink den daheim Gebliebenen und wir brummen aus dem Tor. Im Gepäck nur uns, ein paar Sachen und das Verpflegungskörbchen. Lass es uns ruhig angehen! Dieser Satz muß nicht erst ausgesprochen werden. Er liegt in der Luft und wird willig befolgt. Nichts drängt uns zur Hast. Nicht für die nächsten drei Tage. Bei 55 PS gibt ohnehin die Steigung den Fortschritt vor. Die letzten Tage waren arbeitsreich. Selig gleiten wir durch die schöne Oberlausitz, während immer mehr Ballast abzufallen scheint. Viele Worte werden nicht gewechselt. Nach und nach werden die Züge meiner Begleiterin weicher, der „Urlaub – Jetzt -Effekt“ tritt zu Tage.
Ab und an lassen die tief hängenden Wolken ein paar Tropfen fallen, die wie Perlen auf der Motorhaube glitzern . Zu wenig Fahrtwind um nach hinten zu laufen, zu viel um nach vorn dem natürlichen Gefälle der blauen Fläche zu folgen. Zeit für eine Mittagspause. Auf einem einsamen Waldweg halten wir unter großen Fichten. Den schweren Augenlidern schmeichelt der dunkle Schatten der Äste. Wir krabbeln nach hinten, in unser mitgeführtes Liegewagenabteil. Noch ein paar Snacks als Mittagsmahl und schon fallen, begleitet vom leisen Trommeln des Regens aufs Blechdach, unsere Augen zu. Selbst als der Himmel seine Schleusen schon geschlossen hat, bleiben uns noch die großen, die lauten Tropfen, die zwischen den Nadeln zusammen laufen, sich beim kleinsten Windhauch lösen und auf dem Dach zerschellen. Dieses Ambiente bietet sich sonst nur noch unter dem Tarp oder im Zelt. Und wir lieben es.
Bis in den letzten Zipfel des Kirnitzschtals und wieder hinunter Richtung Bad Schandau loten wir unsere Streckenkenntnisse aus. Königsstein, Dippoldiswalde und weiter durch wundervolle Landschaft Richtung Freiberg. Viele Worte fallen nicht. Immer wieder ertappen wir uns in Gedanken schwelgend, mitfiebernd, wenn bei einer Steigung mit Kurven der 3. Gang nicht ausreicht oder hoch schreckend, wenn uns auf kleinen Sträßchen voll beladene Laster mit Überschallgeschwindigkeit entgegen kommen. In Chemnitz tanken wir, füllen ein wenig Motorenöl nach, und gönnen uns einen Automatenkaffee und ein Sandwich. Der Kaffee ist mit viel Wohlwollen so lala, das Sandwich dagegen hervorragend.
Jetzt gibt es Erinnerungen an jeder Ecke. „Dort war mal eine Disco. Da sind wir manchmal einkaufen gewesen. Ach… diese Straße ist ganz neu, früher ging die dort lang. Der kleine Asia-Imbiss ist immer noch da! Daß die Autobahn so nahe am Ort vorbei geht, hätte ich nicht gedacht“. Die alte Heimat meiner Frau.
Auf der alten Bundesstraße geht es nun, es wird schon dunkel, gen Leipzig. Ein Anruf bei einer Cousine und wir haben einen Zielort für die Nacht. Auf dem Dorffußballplatz kommen wir nach einem schönen, gemeinsamen Abend zur Ruhe.
Tags darauf haben wir uns bei Freunden zu Frühstück und erzählen eingeladen. Auch diese schönen Stunden fliegen im Nu davon und bald schon zeigt der Kühlergrill wieder gen Osten und Heimat. Wenn uns Nachrichten von zu Hause übers Telefon erreichen und auch der Kopf wieder beginnt, die daheim gelassenen Probleme hin und her zu jonglieren ist auch bald die wohlige Freiheits- / Urlaubsstimmung passe‘. Zack! Der Alltag hat uns wieder.
ABER HALT!
Nicht zu früh alle Pferde scheu machen. Eine schöne Station inklusive draußen übernachten haben wir ja noch vor uns. Eine Studienkollegin wollen wir heimsuchen. Lange ist’s her, das letzte Treffen. Und das, obwohl wir nur eine Wegstunde mit einem langsamen Gefährt unserer Wahl bis zu ihr hätten. Freundschaften muß man pflegen! Wir werden schon erwartet und wieder gibts viel zu erzählen. Ich bekomme sogar einen Geburtstagskuchen.
Gefühlte 10 min. später ist schon die Nacht hereingebrochen und wir müßen uns verabschieden. Ganz in der Nähe wartet ein toller Aussichtspunkt mit der Möglichkeit da auch über Nacht stehen zu können. Ob zu Fuß alleine, oder mit dem anderen Alteisen auf Vater und Tochter Tour unterwegs war dies immer ein Punkt, den anzusteuern es sich lohnte. Wie auch jetzt wieder. Ein paar Kilometer entfernt tront die Burg Stolpen hell erleuchtet.
Nachts hat es ein paar Tropfen Regen gegeben. Die Wasserlinsen hängen noch außen an den Fenstern. Wie gewaschen ist die Luft, der Himmel strahlt und die Morgensonne wärmt schon unsere Nasen. Zeit für Kaffee, Geburtstagskuchen und… den Weg nach Hause.
Ja, es sind nur immer wieder diese kleinen Fluchten, die den Alltag versüßen, das Salz in der Suppe, das Tüpfelchen auf dem “ i “ oder die Kirsche auf der Sahne sind. Oder noch anders; das Leben bei allen Aufs und Abs gelingt ( uns ) besser, wenn man nach der Anstrengung des Aufstiegs auch die Schönheit der Landschaft als Belohnung sieht. Deshalb gehen wir raus, deshalb fahren wir auch mal scheinbar ziellos durch die Gegend. Deshalb finden wir auch immer aufs Neue die kleinen Erlebnisse am Wegesrand. Nachmachen absolut erwünscht!
hi folks!
Mit einem Artesanal in der Hand und „Drifting“ aus dem Album The Mage von Greg Foat (genau Bernd, bandcamp 😉 ) studierte ich eure Zeilen und muß sagen: alles richtig gemacht, das ist der richtige Weg! Da meine Mopete nach einigen Querelen nun auch wieder läuft, erfinde ich ich hiermit ein Wintertreffen bei euch, um euch das auch noch mal persönlich zu bestätigen.
Euer Steppi
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