Dieses Jahr wünsche ich mir nichts materielles! Ein Satz, einfach gesagt und doch für die Schenkenden so schwer zu bewerkstelligen.
Meine Frau hingegen weiß genau, was dieser Satz bedeutet. Der letzte brachiale Fernwehschub inklusive für alle nur schwer zu ertragender menschlicher Verwerfungen ist noch nicht lange genug her. Ist er nie! Und es tut mir noch immer sehr leid, möchte ich doch niemanden mit meinen seelischen Tiefpunkten und meinem Drang in die Welt hinaus verletzen. Vor allem nicht die liebsten.
Auf dem Gabentisch findet sich dann tatsächlich das Objekt der Begierde. Ein liebevoll und mit etwas Wehmut gesagter Nebensatz enthält die ersehnten Worte. 7 Tage Urlaub. “ Mache los und hab eine schöne Zeit. “
Die erste Januarwoche wird auserkoren. Ich bereite mich auf eine Motorrad – Wintertour vor. Zwar gab es mit 15°C den wärmsten Jahreswechsel seit Beginn der Aufzeichnungen mit Bienenflug am Weihnachtsmittag und zu Silvester, doch liegt der Januar trotzdem in der Zeit des Jahres, die man Winter nennt. Noch vor Weihnachten siedelte eine Thermokombi aus der Sonderbestellabteilung von Polo in den heimischen Motorradsachenschrank um. Ein Mordsteil, groß und robust, wasserdicht und flauschig gesteppt. Ein paar Tage noch Geduld, dann noch einen weiteren Tag Verschiebung wegen anderer wichtiger Zwinglichkeiten.
Und dann geht es los. Die alte Lady, für die ich schon seit Jahren einen angemessenen Namen suche, steht mit frisch gewechseltem Öl, regeneriertem Magnetzünder, eingestellten Ventilen und aufgepumpten Reifen bereit für ein kleines Abenteuer. Werkzeuge und Ersatzteile wurden gesichtet, ergänzt und verstaut. Auch für den Fahrer gibt es neue Annehmlichkeiten, wie einen während der Fahrt erreichbaren Thermosflaschenhalter ( gedengelt aus einer alten Elaskondose ) und beheizbare Socken. Einen Tag vor Reisebeginn ist alles fertig gepackt. Oben auf dem Sozius thront das geliebte Mosko Moto Packsystem mit tarp, Winterkocher, Schlafsack, Wechselschlüppis und Instantessen, für den Fall der Draußenübernachtung. Im Beiwagen hat ein Schaukelpferd Platz genommen. In der Isoliertasche daneben finden sich feinste Stücke der hauseigenen Rindfleischproduktion und ganz unten unter der Decke, gleich neben den Ersatzbowdenzügen kuscheln sich ein Masskara und ein Laphroaig 10 freundschaftlich aneinander. Alles Mitnimmsel für gute Freunde. Bei solch einem Transport soll nochmal jemand behaupten, Motorradfahrer bewegen sich ausschließlich zur eigenen Belustigung kreuz und quer durch die Lande 😉
Abschied. Er fällt immer schwer. Heut sage ich schon vorher tausend Dank, daß ihr es mir auch diesmal ermöglicht auf Tour gehen zu können. Ein großes Privileg. Eigentlich war die spontane Idee, im Winter, in der arbeitsärmeren Zeit, wenn es nicht eine so große Last für die anderen ist, meinen Teil der Arbeit mit zu tragen, betrieblich gesehen einleuchtend. Kalt ja, genügend Verrücktheit vorausgesetzt auch ja. Ganz so einfach war es dann aber doch nicht, ist der Betrieb zwar eine wichtige Seite, die familiären Zwänge jedoch kommen auch im Winter zum tragen. Nur die halbe Wahrheit sozusagen. Ein Stück weit lüge ich mir damit schon in die eigene Tasche, das gestehe ich mir nachdenklich ein. Andererseits ist da die Hoffnung, danach, wenn genügend Minusgrade an mir vorbei gezogen sind, das Fernweh (weh im wörtlichen Sinne) genügend herunter gekühlt zu haben, um lange Zeit wieder richtig zu funktionieren.
Der erste Stopp. Tanken, Gepäck prüfen und mich selber richtig einpacken. Alles muss sitzen. Wenn der Wind irgendwo am Hals etwas auskühlt hört der Spaß ganz schnell auf. Bald biegen wir gefüttert und ordentlich verschnürt in Richtung Ferne ab. Auch während der Fahrt werden die neuralgischen Punkte abgecheckt. Die gewählte Anzugsordnung passt. Füße warm, Hände warm, Hals warm. Mal sehen, wie es sich nach 200km anfühlt.
Das Wetter meint es außerordentlich gut mit uns. Zwar ist es kühler geworden, aber die Sonne scheint und Regen ist nirgends in Sicht. Langsam beginnt der Kopf abzuschalten. Da der Start wie eigentlich immer später war als anvisiert, fällt die Wahl auf die Autobahn. So durcheilen wir ( mit 70 Sachen ) die allzu bekannten Gefilde in Richtung Westen. Ruhig liegt das Gespann auf der Piste, der Motor summt gleichmäßig und kein Nebengeräusch lässt Gedanken aufkommen, diese Fahrt könne nicht ewig so weiter gehen. Souverän ziehen die fahrenden Warenlager vorbei. Manche grüßen. Leise Musik auf den Ohren lässt die Zeit schneller vergehen.
Der erste Zwischenstopp wird bei René eingelegt. Es gibt Kaffee, Kuchen und nette Plaudereien. Auch ein kaputter Kardan und die fleischlichen Köstlichkeiten wandern aus dem Beiboot in seine Werkstatt und Kühltruhe. Es ist immer wieder nett und lehrreich hier. Schade, dass ich dieses Mal nicht länger bleiben kann, aber der nächste „Termin“ und Endstation des heutigen, ersten Urlaubstourentages winkt schon aus nicht mehr allzu weiter Ferne. Schon wartet die nächste Kundschaft auf ihn, wir verabschieden uns fröhlich.
Ein Teil der Leavinghomies hat sich im schönen Thüringen niedergelassen. Nun folge ich gern der Einladung, die beim letzten Treffen ausgesprochen wurde, auch gerne über Nacht zu bleiben. Der Sternenhimmel über mir hätte eine lauschige Nacht im Freien problemlos zugelassen, aber ich freue mich schon sehr, die lieben, verrückten Menschen wieder zu sehen. Bevor ich aus dem Sendegebiet meines Telefonanbieters unters Radar abtauche, versuche ich noch, leider vergeblich, einen Fernruf gen Heimat abzusetzen. Niemand hört, also werden ein paar liebe Zeilen gesendet. Vorsichtig tuckern wir auf den Hof mitten in eine fröhlich abreisende Menschenmenge hinein. Hier war über den Jahreswechsel volles Haus und ich habe echte Bedenken, ungelegen zu kommen. Diese verfliegen im Nu, als Johannes mich herzlich drückt und direkt in die Scheune hinein lotst. Gleich sind ein paar Kids da, um das Gespann zu inspizieren und fragen mich aus, ob es auch eine Ural wäre. Ich verneine und erkläre, während ich mich aus meinem Wärmekokon heraus pelle und das Schaukelpferd aus dem Beiwagen befreie.
Erstmal ankommen. Im Haus ist immer noch Action, auch wenn gerade die große Meute abgereist ist. Ich frage nochmals, ob es wirklich ok ist, doch werde sofort assimiliert. Elisabeth hat heute Geburtstag. Eigentlich war das Mitbringsel für die Jungs gedacht, in Ermangelung eines Geschenks wird das Schaukelpferd der Mutti übergeben, doch sogleich wieder von den Kindern mit Beschlag belegt. In der Wohnküche sind die bunten Tische und Stühle zu einem großen Viereck zusammen gestellt. Dieses Bild lässt Erinnerungen aus fernen Tagen hoch schnappen, als wir mit gültigen Visa! nach Halle einreisten, um einem der ersten „cominghomefunktion“ – Vorträge beiwohnen zu dürfen. Auch da schienen die Stühle aus der ganzen Straße zusammengeborgt gewesen zu sein. Und ebenda ist auch dieser bis heute nicht abreißende, für mich sehr wertvolle Kontakt entstanden. Erinnernswert, eindrücklich, liebenswert!
Der Abend wird interessant, bunt und lustig. Während die einen noch die letzten Teilchen auf den Raclette – Grill drapieren und sich angeregt unterhalten, knetet Anne schon mit Hingabe den Teig für den nächsten Tag. Jemand bestückt die Spülmaschine. Die Kids feilen noch am Text für den nächsten Punk – Hit. Zwischen Aufräumarbeiten, Kinder unter die Dusche bugsieren und Geschirr abtrocknen immer wieder nette Gespräche, Erinnerungen, interessierte Fragen. Die Nacht ist schon lange herein gebrochen, als im Haus langsam Stille einzieht. Die großen und kleinen Bewohner mummeln sich in ihre Kissen – und Deckenburgen ein. Auch ich finde eine ruhige Ecke für Isomatte und Schlafsack auf dem Dachboden. Herrlich kühl und ungestört kann man hier gut zur Ruhe kommen. Schlaf gut du, mein erster Urlaubstag 🙂 .
Nachts kommt Wind auf und läßt die Giebelschindeln zappeln, leise tropft das Regenwasser in die Dachrinne. Innerlich richte ich mich auf Regenklamotten ein und dreh mich nochmal ein Stündchen zur Seite. Irgendwann morgens, alles schläft noch, schleiche ich die Bodentreppe hinunter in die Scheune zu meiner schlafenden Schönheit.
Es dauert ein Weilchen, bis alle Ausrüstung wieder richtig auf dem Gefährt arrangiert und Öl nachgefüllt ist. Nach dem Frühstück heute scharfer Start nordwärts… so der Plan. Aber ehe der Tisch gedeckt, Kaffee aufgesetzt und die schwäbischen Seelen fertig gebacken sind vergehen noch ruhige Minuten bei angenehmen Gesprächen zwischen sibirischen Tigermücken, der Frage nach den Öffnungszeiten des nächsten Wollgeschäftes und den Zwinglichkeiten der Landwirtschaft, Tierwohl und Selbstversorgung. Zeit lassen ist hier die Devise und es fühlt sich richtig an, nicht fluchtartig das Areal zu verlassen. Gefahren ist dann schnell wieder.
Nochmal alle drücken und los. Auf ein frohes Wiedersehen und tausend Dank für eure Gastfreundschaft! Gegen elf gibt der Einzylinder nach nur einem Kick die ersten Lebenszeichen von sich. Nordwärts durch den Regen. Fast wie mit dem Lineal gezogen läuft die blaue Linie auf der Telefonlandkarte durch Thüringen, streift Sachsen ganz leicht und nimmt auf dem Weg nach Schleswig Holstein auch noch Sachsen Anhalt und Niedersachsen mit. Über 550 km wollen heute abgesessen sein bis zum Zielpunkt Eckernförde. Bis dorthin steht der grobe Tour – Plan. Und da hängen auch meine Gedanken, denn es wartet ein liebgewonner Freund, eine warme Dusche und mit Glück noch ein guter Whisky. Danach? Wer weiß wohin der Wind uns noch trägt.
Die Fahrt gestaltet sich unproblematisch. Vorausschauende LKW – Fahrer, nette Tankstellenbedienungen, keinerlei technische Vorkommnisse. Es läuft rund und lang. Ab und zu streichle ich von einem kurzen Reflex übermannt das Tankemblem und bin glücklich, wie wunderbar und tapfer der kleine Motor aus den 1950er Jahren uns voran bringt. Manchmal drückt der Wind recht stürmisch von Westen her. Ich muß gut Kurs halten und die Gischt der vorbei ziehenden KFZ trifft mich härter als gewohnt. Aber jeder süße Kakao bei eingelegten Tankstopps besänftigt wieder und wärmt durch. Im Inneren erweitere ich ständig mein Notizbuch mit den neuesten Erkenntnissen zu Kälte, Wärme, Regen, langem Sitzen und dem Einfluss des Windes auf das Temperaturempfinden. Apropos Wärme. Zwischendurch steigt das Thermometer mal auf 6-8°C. Da muß die Thermokombi schnell in den Beiwagen. Es ist schlicht zu warm. Weiter nördlich werden Landstraßen genutzt, was bei Dunkelheit, 6Volt, 35 Watt und nassem Asphalt viel Aufmerksamkeit fordert. In Salzwedel kehren wir an einer SB Tankstelle als näßeste alte Lady der Woche plus Reiter zu SuperPlus und einem doppelten Kakao bei einem fröhlich lächelnden Tankwart ein, der auch jetzt kurz vor Schichtende noch ein paar freundliche Worte für jeden Kunden findet. Hier erreiche ich auch meine tolle Frau, es wird das neueste vom Tag und warme Worte ausgetauscht. Kurz vor Abfahrt fragt ein älterer Mercedesfahrer nach dem Woher und Warum bei diesem Wetter an. Wir plaudern kurz. Die Frage nach dem Wohin beantwortet er selbst mit: „Etwa nach Norwegen“? Wie er darauf kommt, weiß ich nicht, und ich antworte lächelnd wahrheitsgetreu mit „Eckernförde… erstmal“.
So mental gestärkt geht es weiter bei stärker werdendem Regen durch die Dunkelheit. Bei Lauenburg überqueren wir die Elbe. Wir kämpfen uns vorwärts, doch der Weg zieht sich zunehmend in die Länge. Kreuz Bargteheide. Umleitungen, Sperrungen, der Regen und das gleißende, sich im Visier brechende Rotgrün der Ampeln verwirren mich. Durch das beschlagene Tankrucksackregenschutzhüllensichtfenster (ich glaube, so ein Wort ist nur im deutschen Sprachraum möglich) kann man auf dem kleinen Telefon kaum die richtige Richtung erkennen und so verbringe ich eine ganze Weile mit dem Austesten der verschiedenen Möglichkeiten, welche dieses Autobahnkreuz bietet. Ein zweifelhafter Spaß, bis endlich der Kurs stimmt. Weiter also. Irgendwie schaffe ich es noch durch Kiel hindurch, obwohl das nicht wirklich geplant war. Jetzt auch egal. Eckernförde ist analog ausgeschildert und dem folge ich jetzt stur, während das Bildschirmchen in den Schlafmodus versetzt wird. Langsam drängt sich aber auch wirklich die Sehnsucht nach Feierabend auf. Ankunft! Wie im Traum steuern Gespann und müder Reiter bei starkem Wind und Regen durch die Stadt dem Ziel entgegen. Kurz vor 11 Uhr Nachts klappt das Eisentor hinter uns zu und der Motor verstummt. Andre‘ schüttelt nur den Kopf, ist hoch erfreut und erstaunt zugleich, daß ich mit dem Motorrad anreise. Schnell werden die triefenden Sachen in die Werkstatt zum trocknen aufgehangen. Wartung und Pflege kommt morgen noch zurecht. Trotz knapp 550 km hart geritten und naß eingestellt, irgendwo findet sich noch immer die Kraft zum schnacken und anstoßen. Wir erörtern unter anderem angeregt seine große Fahrt gen Norwegen noch in diesem Jahr. Streckendetails und Ausrüstung werden diskutiert. Als wir uns so unterhalten, kommt mir der Herr in Salzwedel mit seiner Norwegenfrage nochmals in den Sinn und ein „wieso eigentlich nicht“ taucht am Gedankenhorizont auf. Aber so wie ein Laster auf der Autobahn, schnell im Rückspiegel größer werdend. Erst nach Mitternacht werden die Lider schwer und gehen zu Bett. Ich hüpfe noch schnell unter die Dusche und schlafe selig ein.
Der Morgen graut. Wind und Regen haben sich gelegt, ab und zu lugt die Sonne durch die Wolken. Unruhige Stunden zwischen Verarbeitung des letzten Whiskys und des letzten Fahrtages, sowie die aufkommende Vorfreude auf den erst Dritten Urlaubstag liegen hinter mir. Im Traum spiele ich bereits das Buchen der Fähre durch und nehme mir vor, erst vor Ort das Ticket zu lösen. Nur für den Fall, daß wir unterwegs liegen bleiben und die Überfahrt nicht antreten können.
Auch heute lassen wir es ruhig angehen. Kaffee, Frühstücksbuffet und ein netter Gesprächspartner für mich, frisches SAE 50 für die Lady. Doch irgendwann, es ist schon weit nach 9, zünden wir und rollen vom Hof. Wir sehen uns auf dem Heimweg! Ein letzter Wink und schon reihen wir uns in den morgendlichen Verkehr gen Dänemark ein.
Sonne lacht, Maschinchen summt, im Background singt element of crime schnoddrig, wahr und herzerwärmend: „Ich wär so gern ein Gummibär…“ (Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin). Ja, auf großer Fahrt, so fühl ich mich. Herrlich. Die warmen Strahlen lassen mich die Augen zukneifen. Gutes Training für die Lachfalten. Bald steuern wir auf die Grenze zu. 80 (fahr ich eh nicht), 60 (leichte Entspannung in der rechten Hand), 40 (voller Schiebebetrieb), Schritttempo ( Ach, doch einmal runter schalten pro Gesamtstrecke ? 😉 ). Die junge Frau in Uniform und Neonweste winkt mich lächelnd durch die Kontrollstelle. Dänemark hat mich. Wenig später bin ich wieder auf Reisefluggeschwindigkeit. Naja, gute 400 km sind es schon bis Hirtshals. Ein langer Tagesritt auf der Autobahn. Wieder nur der Transit durch dieses schöne, erkundenswerte Land. Das muß sich unbedingt ändern, also auf der Tourenliste vermerken!
Auffallend unspektakulär gestaltet sich der Weg, an dessen Ende Hirtshals ans nördliche Ende des dänischen Festlands schmiegt. AWO fahren, Kopf frei blasen, Benzin wenn der Tank leer ist, eins dieser superleckeren Mohnteilchen, die in Zuckerguß ertränkt sind wenn der Bauch leer ist, Kakao und Thermokombi wenn’s kalt ist. So genieße ich das Leben, während sich das graue Band unter uns unendlich gen Norden schlängelt, um uns scheinbar unaufhaltsam mit sich zu tragen. Immer wieder wird die Klangkulisse des Gespanns kritisch abgehorcht und das Popometer befragt, aber schön und fast unglaublich, nichts auffälliges ist zu hören und zu spüren. Mal abgesehen von den normalen Lebensäußerungen des Antriebsstranges und der restlichen Mechanik.
Nach Einbruch der Dunkelheit rollen wir an das Colorline – Fährterminal heran. Es ist noch viel Zeit, aber der Check in – Schalter hat bereits geöffnet. Die Dame im Inneren freut sich über den wahrscheinlich einzigen Motorradfahrer, der heute übersetzen möchte. Eine direkte Buchung ist problemlos möglich. „I only need your ID – Card.“ Um die hundert € wechseln zu Colorline über und die Sache ist perfekt. Ich werde im Winter mit dem AWO-Gespann nach Norwegen übersetzen, soviel steht jetzt fest. Die Glückshormone sprudeln, als der Lotse uns Reihe 18 zuweist, werden aber jäh von Fragezeichen und Stirnfalten überzeichnet, als mein Kupplungshebel ohne Widerstand zurück weicht und ich die Karre abwürgen muß, um an der Haltelinie zum Stehen zu kommen.Was war das jetzt? Heiß kriechen Gefühle den Rücken hoch, ob die Freude vielleicht zu früh war.
Erstmal gucken und Lage sichten. Bowdenzug? In Ordnung. Hebel an Lenker und Getriebe? In Ordnung und noch vorhanden. Getriebe fest? Check. Aus so vielen Teilen besteht die Auslösemechanik der Kupplung des Alteisens nun nicht. Hebel, Drucklager, Druckstange, Teller. Ein Anruf bei Rene‘ und wir erörtern die Möglichkeiten. Mittlerweile füllen sich die Reihen um mich herum mit Autos, Transportern und LKW. Außerdem beginnt es bei -1°C zu nieseln. Eine dünne Eiskruste bildet sich bald auf dem Asphalt, dem Motorrad aber nicht auf mir. Ich dampfe vor Aufregung. Andere Hormone kommen nun zum Einsatz. Einiges an Ersatzteilen, Druckstange und -lager hab ich mit. Also flink ans Werk! 1 1/2h bis die Fähre kommt. Werkzeug raus, aus der Kombi gepellt, Wollmütze auf. Kurz überlegt, wie war das noch gleich? Sport AWO heißt, das Hinterrad und der Kardan müßen demontiert werden, um an die relevanten Teile durch Getriebeausbau heran zu kommen. Ich staune über mich selbst, wie die Handgriffe noch sitzen. Wagenheber hoch, Schrauben lockern, Steckachse ziehen, Hinterrad mitsamt Kardan an der Schwinge vorbei fummeln, ohne daß das ganze Geschiebe umfällt. Langer Schraubenzieher von hinten durch die Schwinge gesteckt, um die Hardyscheibe auseinander zu schrauben. Kabel vom Getriebe ab, Kupplungsbowdenzug aushängen, die 4 Innensechskantschrauben lösen. Getriebe zurück schieben und (eigentlich) vorsichtig zwischen Motor und Rahmen herausdrehen. Die Insassen der nebenan stehenden Autos, schauen interessiert zu. Mancher Passant fragt, ob etwas kaputt ist, während ich inmitten meiner in Einzelteilen zerschraubten Karre wusele. Äh, ja!
Die offenbar gebrochene Kupplungsstange verwehrt mir schnelles Weiterkommen und muß erst mit viel Gefühl und einer langen dünnen Zange überredet werden, das Getriebe frei zu geben. Alles verlorene Zeit, aber ich weiß nun, daß die Stange das Problem ist. Schnell wird die neue Stange eingefädelt, Getriebe wieder eingesetzt, locker zusammengeschraubt um zu probieren. Nichts! Keine Funktion am Kupplungshebel, als ob die Stange zu kurz wäre. Vielleicht liegt das Problem Hinter der Kupplung? Also Kupplung ab, Federn, Scheiben und Teller inspizieren. Alles ok. Zusammen bauen inlusive Scheibe zentrieren, etwas schwierig und mit zittrigen, kalten Ölfingern auch nicht in 2 Minuten erledigt. Ein weiteres Nottelefonat mit Rene‘ ergibt eine neue Reparaturmöglichkeit. Ich muß nur jemanden mit einer Flex finden. Schnell! Drüben in der Transporterwarteschlange erspähe ich ein Vehikel, wo irgendwas mit Landschaftsbau auf Norwegisch steht, eine Traube Männer davor, sich angeregt unterhaltend. Ich renne hinüber und frage nach dem ersehnten Gerät. Die Tür des einen Transporters öffnet den Sesam wie in Alibaba und die 40 Räuber. Nur gelüstet es mich nicht nach Gold und Gämmen sondern einzig nach der dort prangenden Akkuflex. Er hat tatsächlich eine Flex am Start, ist das zu glauben? Ich flitze zurück. Getriebe raus, Stangen aneinander gehalten. Zack! Gerade hab ich eine kaputte Druckstange geschändet und eine intakte kaputt gemacht. Der Zweck heiligt die Mittel!
Ein Typ vom Bodenpersonal fragt nach und bietet an, den Haufen Teile auf die Fähre zu schleppen und beim Kapitän nachzufragen, ob ich während der Überfahrt ausnahmsweise im Frachtraum schrauben darf.“ Wenn ich das Ding nicht hier zum laufen bekomme, braucht ihr mich nicht nach Norwegen zu bringen!“ OK.
Getriebe wieder rein. Mist!!! (und ich setze nie 3 Aurufezeichen) Die Stangenteile sind zu lang. Quer über den Platz rufe ich dem Flex – Besitzer zu. Er reagiert prompt und bringt sie mir nochmal. Ich bedanke mich tausendfach, er lächelt mitfühlend. Zack , die zweite! Alles einfädeln, Getriebe rein. Langsam kommt Routine auf. Aber die Finger tun weh.
Ich bin spät dran. Die Fähre zum Glück auch. Mit einer viertel Stunde Verspätung dockt sie an. Der Typ vom Bodenpersonal kommt wieder und gibt mir zu verstehen, daß ich als letztes eingeladen werde, wenn es knapp wird. Wird es wohl.
Langsam werde ich nervös, denn die Stange ist immer noch zu lang. Wieder alles auseinander. Wieder verklemmt sich die Stange. Gefummel und die Minuten rennen.
Die ersten Autos verschwinden schon in den Bauch der Superspeed 1. Der Flex – Besitzer hat den Transporter schon gestartet. „Just one last cut please“. Er hüpft nochmal hinaus und gibt mir das Gerät für diesen letzten Versuch. Zack, die Dritte! Er klopft mir auf die Schulter, ich bedanke mich erneut und renne zurück. Stangen einfädeln. Bitte, Bitte! Getriebe fest, Hebel einhängen, Bowdenzug.
Der Platz ist fast leer, die Autos schon längst verstaut, die letzten 2 Trucks fahren in die LKW – Ebene. Ein Einweiser gibt mir 5 bis 10 Minuten.
Alles wichtige ist angebaut und befestigt. Probelauf. Der Motor startet sofort. Vorsichtig ziehe ich den Kupplungshebel und lege den Gang ein. Der bärtige Einweiser steht neben mir und fiebert mit. YES! Ein Freudenjauchzer entfährt mir. Daumen hoch vom Bärtigen. Die Kupplung trennt sauber. Norwegen, wir kommen! Eilig schmeiße ich alle restlichen Teile, Schräubchen und das Werkzeug auf ein Bettlaken, knülle alles zusammen und verstaue den klimpernden Ballen im Seitenwagen. Langsam tuckern wir als allllllllerletzte auf die Fähre. Holla, die Waldfee, was für ein Abenteuer.
Total fertig, aber überglücklich vergesse ich sogar das Gespann fest zu zurren. Das macht liebenswerterweise jemand von der Crew. Verschwitzt, glücklich und ölverschmiert von oben bis unten betrete ich die Fahrgastetage und trolle mich sogleich in die nächstbeste Toilette. Ein Trucker erkennt mich und fragt mit polnischem Dialekt, ob Motorrad wieder ganz. Ich strahle unter meiner Ölkruste hervor. Das reicht ihm als Antwort. Nach meinem eher unterdurchschnittlich erfolgreichen Versuch, wenigstens eingermaßen sauber und vorzeigbar zu werden, verlasse ich das Abteil und suche mir ein stilles Plätzchen auf einer Treppe, abseits der Menschenmassen. Quasi alle Passagiere haben während der Vorbeifahrt an meinem Teilekonvolut auf dem Parkplatz, an diesem fragwürdigen Event teilgenommen. Entsprechend sehe ich deren Blicke im Augenwinkel. Kaum in der Waagerechte falle ich in einen unruhigen Schlaf. Keiner behelligt mich. Kurz vor Kristiansand schrecke ich hoch und habe Hunger. Die Kantine schließt gleich, eine Kassiererin mit indischem Gesicht und freundlicher Stimme hat Zeit, nach meinen öligen Fingern, dem Woher und dem Warum zu fragen. Anschließend gibt sie mir 10 Kronen (Mitleids-) Rabatt auf den Lachswrap. Tusen Takk.
Ankunft. Die erste Fährankunft in Norwegen mit dem Gespann. Es ist tiefe Nacht und -2°C, die Stadt präsentiert sich mit leichtem Schnee bepudert und von Regenvorhängen durchzogen. Ein vager Plan entspinnt sich im Kopf, irgendwo außerhalb die Zeltplane über uns zu decken und ein weiteres Nickerchen zu machen, bevor der Weg uns weit gen Westen in Richtung Stavanger führt. 430 km Strecke (ohne die Fähren -Kilometer) liegen heute (also gestern) hinter, 250 weitere bis zu Oliver noch vor uns. Ich hatte eine Brieftaube voraus geschickt, unsere baldige Ankunft bekannt zu geben und freue mich nun schon sehr auf ein, wenn auch nur kurzes Wiedersehen.
Eine abrupte Bewegung der Kupplungshand beim hoch schalten nach einem Kreisverkehr, ein Stück außerhalb von Kristiansand läßt mich aus den Gedanken schrecken. Schei**! Das alte Leid ist zurück.
„Hier, um diese Uhrzeit hält sich mein Verständnis für solcherlei Eskapaden echt in Grenzen, Fräulein“. Und was soll ich auch jetzt machen? An der nächsten Tankstelle, es regnet mittlerweile wie aus Kannen und der Wind pfeift ungemütlich unter das Dach, baue ich die nicht so essentiellen Teile wie z.B. den Handschalthebel an, sortiere mein Werkzeug, verstaue alles etwas ordentlicher und schlurfe zur Kasse. Die Kassiererin hat gerade alles sauber gewischt. Ich entschuldige mich schon im Voraus, bestelle einen doppelten Kaffee mit extra viel Zucker, zeige meine kohlrabenschwarzen Hände mit der Bitte um eine Handbürste und verschwinde in der ebenfalls schon pieksauber gereinigten Toilette. Auch dieser Reinigungsversuch glückt nur so viertel bis halb gut. Dafür taue ich ab und hinterlasse Pfützen. Der Kaffee tut gut und im Kopf kreiseln Überlegungen über das „Wie weiter ?“. Den Grill putzend fragt die Dame, wohin ich denn noch will bei diesem Wetter. Meine Entscheidung ist gefallen. Ich erkläre, daß meine Kupplung kaputt ist und ich mich gerade entschlossen habe, keinen weiteren Reparaturversuch zu unternehmen, sondern die 230 km bis Stavanger ohne Kupplung durch zu fahren. Sie schüttelt den Kopf, lächelt dann aber und wünscht mir alles Gute, bevor sie sich wieder dem Grill hingibt.
Packen wirs an. Der Startprozess gestaltet sich nun anders. Ein paar Meter freie, möglichst nicht ansteigende Bahn braucht es, um das im Standgas tuckernde Gespann los zu schieben, den 1.Gang vorsichtig einzulegen und sich möglichst elegant auf den Sitz zu schwingen. Auf elegeant kann zur Not bei dem Prozedere verzichtet werden, es ist schlicht nachts halb 3 bei Schneesturm niemand zugegen, der Haltungsnoten vergeben würde. Auch die Fahrweise ändert sich. Man fährt wesentlich vorausschauender, jeder unnötige Schaltvorgang wird unbedingt vermieden. Für Stunden ziehen wir unsere Spuren auf der E39 gen Westen. Oft sind es die einzigen. In Tallagen schüttet es wie aus Kannen, weiter oben die selbe Menge in Form vom herrlich dicken, weichen Schneeflocken, die Übergange in Matschform und nahtlos. Am schönsten fährt es sich tatsächlich im Schnee. Teilweise bis zu 5 cm geschlossene Schneedecke auf der Straße. Man rollt ab, als führe man auf Samt. Das Gematsche und Geplatsche an Stiefeln, Hose und Visier wird abgelöst von dumpfen, sanften, weichen Geräuschen.
Nur ganz selten ist ein Auto unterwegs. Ab und an die unvermeidlichen LKW. Kaum sieht man sie im Rückspiegel, setzen sie auch schon zum Überholen an und ziehen selbst an den verrücktesten Stellen vorbei, als ob die Gesetze der Physik für sie nicht gelten würden. Gegen 6, es ist noch finstere Nacht, ein letzter Stopp an eine Circle K – Automatentanke. Es schüttet und der Wind bläst von hinten so sehr, daß das Gespann weg rollen will und ich den Gang einlegen muß. Ich bin erschöpft und setze mich auf den Gepäckträger, klappe das Visier runter und nicke kurz weg. Die wohlige Wärme im Inneren, das wasserdichte Material außen, läßt das Wetter abperlen und mich zur Ruhe kommen. Bevor wir wieder durchstarten, sehe ich noch die offene und beheizte Behindertentoilette. Zwar sind meine Handschuhe wasserdicht, die Hände aber werden schon beim ausziehen oder beim tanken nass. Somit kommt früher oder später unweigerlich Feuchtigkeit und damit Kälte hinein. Schlimmer empfinde ich den Fakt, daß man den Handschuh kaum noch ausgezogen bekommt, weil das Innenfutter an den Händen klebt oder gar, der Super GAU, mit heraus gezogen wird. Also trockne und wärme ich unter dem Handtrockner meine Finger und nutze auch den großen Spiegel, um mich ganz penibel, Schicht um Schicht, bis hoch zum Hals wieder richtig einzukleiden. Helm drauf, alles sitzt. Als die Handschuhe dran sind wird es eklig. Zu naß ist das Innenfutter schon geworden. Im Wind neben mir flattern die Plastik – Dieselhandschuhe herum. Einen Versuch ist es wert. Handschuhe wieder aus, Dieselhandschuhe übergezogen. Zuerst ein eigenartiges Gefühl, dann der AHA – Effekt. Ganz leicht lassen sich die nassen Handschuhe an und wieder ausziehen. Das ist zwar alles andere als atmungsaktiv, fühlt sich aber sehr schnell viel angenehmer an, als die Feuchtigkeit direkt auf der Haut zu haben. Wieder ein Skill mehr auf der „bei Extremwetter auf dem Motorrad“ – Howto – Liste. Das hebt natürlich die Laune ganz beträchtlich in den grünen Bereich und sollte die paar Stunden bis zur Ankunft in Jørpeland ausreichen.
Spannend wird es noch einmal kurz vor dem Ziel, gilt es doch den Großraum Sandnes und Stavanger inklusive dem langen Ryfasttunnel bei Berufsverkehr zu durchqueren. Zusatzpunkte gibt es, wenn wir dieses Level ohne Kupplung meistern. Challenge accepted! Was bleibt auch anderes übrig 🙂 . Aber es funktioniert. Mit traumwandlerischem Richtungssinn manövriere ich uns durchs Gewimmel aus roten und orangenen Lichtern, folge den richtigen Hinweisschildern und schalte so gefühlvoll wie möglich, um das Getriebe nicht zu überlasten. Der Aufstieg aus dem tief unter dem Meer hindurch führenden Tunnel ist steil. Der dritte Gang muß rein. Klick, vorsichtig die Drehzahl anpassen, Knarz, geschafft. Um 8 komme ich unter Olivers Carport zu stehen und der Zündschlüssel schnappt auf 0.
„Ich bin da.“
Oliver hat noch nicht mit mir gerechnet. Während er sich auf den Heimweg macht, ziehe ich das triefende Zeugs aus. Nach der Begrüßung, bei einem Käffchen (ich liebe den Kaffee in Norwegen) stehe ich Rede und Antwort und wir beraten die Vorgehensweise. Mein Plan, die Nachtfähre von Stavanger aus zu nehmen löst sich in Luft auf. Sie fährt heute einfach nicht. Nächste Möglichkeit, zurück nach Kristiansand: morgen Abend. Das passt gut. Da haben wir genügend Zeit zum reparieren, zum quatschen und zum Rum verkosten. Ein, zwei Leckereien lagern ja noch im Bauch des Beibootes. Aber zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Gemeinsam manövrieren wir durch die Stadt zu seiner Garage, einem liebevoll hergerichteten Kleinod an der Peripherie bevor die Straßen enden und die Berge beginnen. Zum ersten Mal seit Tagen steht das Gespann nun wieder unter Dach im Trockenen.
Also, frisch ans Werk. Erstmal wird das Gepäck abgeladen. Alle naßen Sachen werden in einem warmen Raum zum Trocknen aufgehängt. Das Schaffell kann man fast auswringen und auch die Thermokombi hat jede Menge Nässe aufgenommen. Sie wird kurzerhand auf links gedreht, und ist erstaunlich schnell wieder trocken. Im Inneren der Packsäcke ist alles trocken. Das wundert und freut mich ganz besonders, ist es doch der erste wirkliche Hardcoretest für das Packsystem und die Werbung verspricht oft zu viel. Aber alles top. Klasse!
Nun geht es erneut der Technik „an den Kragen“, während sich draußen der Himmel zu zieht und seine Schleusen öffnet. Es regnet, richtig und den ganzen Tag. Same procedure as yesterday. Nur im Trockenen und mit Ruhe. Keine Fähre heute, die erreicht werden muß.
Das gesamte Motorrad und die Packtaschen sind von einer Patina aus feinem Sand überzogen. Ein bisschen tut es mir leid, aber das alles kann man wieder zu Hause abwaschen. Vorher hatte ich die Maschine mit Korrosionsschutzöl eingerieben. So bleiben die empfindlichen Teile wenigstens etwas geschützt. Aber ehrlich, ich liebe jedes Stückchen an uns, das wir zusammen auf Tour altern durften. Sei es auf einer Panzerteststrecke in Polen, auf dem Deutschlandtrip gemeinsam mit meiner Frau oder auf der Nordkap – Expedition. Es sind die Kratzer und Dellen, die wir uns im Laufe der Jahre auf Reisen erarbeitet haben. Sie sind die kleinen bleibenden Orden dieses Schaffens und jede Beule im Blech, jede Narbe vom heißen Auspuff an der Wade und jede Falte in den Augenwinkeln hat eine Geschichte zu erzählen und läßt im Kopf Bilder aufblitzen. Im Hinblick auf Technik und Fahrsicherheit wird jedoch schon gepflegt! „Wenn wir gut zuhause angekommen sind, gibt es wieder eine Grundreinigung und Konservierung, versprochen!“
Das sind so die Gedanken, während die Schraubarbeiten stattfinden. Zwischendurch bekommen wir noch Besuch. Bitte nicht! Also war Olivers Spruch, so eine Aktion müßte mal in der Zeitung stehen und nicht immer nur Berichte von Kids, die alten Leuten Schneebälle hinterher schmeißen, nicht nur zum Spaß daher gesagt. Also gut, stehen wir dem Stadtblatt in einem recht amüsanten Mix aus norwegisch, deutsch und englisch Rede und Antwort. Eigentlich bin ich auch zu müde, um ein echtes Veto einlegen zu können. Zurück bei der Technik muß ich den Telefonjoker erneut kurz bemühen. Rene‘ ist echt geduldig und hilft mit Tipps und Tricks. Zwischendrin ein kurzer Besuch im Stahlwerk. Ein polnischer Rechtsanwalt, der hier als Präzisionsschweißer arbeitet, ist sehr hilfsbereit und optimiert die Kupplungsdruckstange. Wieder zurück, wird alles nochmal gründlich vor dem Zusammenbau geprüft und so gewissenhaft wie möglich zusammen gesteckt. Fertig! Test! Funktioniert!
Oliver hat noch schnell einen Grill gebaut, damit die Leckereien heute Abend besonders gut gelingen. Aber vorher will ich noch ein paar Stündchen in die Waagerechte. Die gemütliche Übernachtungsstätte ist vorbereitet, der Mumienschlafsack hüllt mich ein und weg bin ich.
Der Abend wird gemütlich. Ein Kumpel kommt noch vorbei, es gibt Fleisch vom Grill, Rum aus Dänemark und von den Philippinen, Whisky von Islay und jede Menge interessantes zu erzählen. Im Hintergrund läuft Louis Armstrong auf Schellack. Erst spät verabschieden wir uns, und kommen in unseren Kojen zu liegen. Takk for sist!
Heut morgen weht der Wind wieder aus einer andere Richtung. Oliver hat Kundschaft und Termine. Aber für ein gemeinsames Frühstück nehmen wir uns die Zeit. Die Lady ist gepackt und betriebsbereit. „Hab vielen Dank für diesen wunderbaren Wendepunkt. Auf ein hoffentlichbaldiges Wiedersehen.“ Ab jetzt geht es dem Zielhafen Heimat entgegen. Hoffentlich ohne technische Schwierigkeiten.
Nicht jedoch, ohne noch vorher schnell den örtlichen Kiwimarkt anzusteuern und die Moltebeermarmeladen- und Walters Mandler – Schokoladenvorräte zu plündern. Die wertvolle Fracht wird in einer Mollidecke eingewickelt im Seitenwagen verstaut.
Seit die Fähre in Oanes außer Dienst gestellt ist, bleibt einem nur der Ryfasttunnel, um wieder Richtung Heimat zu steuern. Das heißt auch viel Verkehr, Autobahn, Vororte. Nicht die abenteuerlichste aller Strecken, wenn man mal davon absieht, daß man mehr als 260m tief unter dem Wasser dahin gleitet. Die tadellose Funktion der Kupplung läßt mich hingegen frohlocken. Nochmal fix voll getankt und eingemummelt, denn es beginnt wieder zu regnen. Was gar nicht so das Problem ist. Viel schlimmer ist der starke Gegenwind. Mit Mühe und Not, bei Vollgas und in englische Sitzhaltung gekauert schaffe ich es, nicht noch vom 3. in den 2. Gang wechseln zu müßen. DAS macht wirklich keinen Spaß. Böen zerren am Boot und es ist kaum möglich die Spur zu halten. Gestern wurden unter anderem die Alternativstrecken zurück nach Kristiansand besprochen. Kleinere Straßen mit höherem Schneerisiko aber schön durch die Berge. Meine Theorie, dort könnte es vielleicht nicht ganz so windig sein, will bewiesen werden und so biegen wir bald Richtung Tonstad ab. Schnell geht es hinauf, die Straßen werden kurviger und wirklich, auch der Wind ist nicht mehr so schlimm. Dafür regnet es stärker. An einer Ausweichstelle montiere ich flux die Actioncam am Lenker. So kann ich wenigstens ein bisschen von der Szenerie einfangen. Sogleich hält ein riesiger Toyota – Geländewagen an. Der Herr ist über alle Maßen begeistert und geschockt zugleich, was ich hier wohl mache und bietet mir in Tonstad eine warme Werkstatt und Werkzeug an. Er habe auch viele Motorräder und könne helfen. Ich bedanke mich, will aber weiter. Außerdem, was kann jetzt schon noch passieren?
Na zum Beispiel könnte die Kupplung erneut den Geist aufgeben? Den Gedanken verdrängen wir mal schnell wieder und fahren weiter. An genau der Stelle, wo der Regen am stärksten niederprasselt, aber weit genug oben, um gerade in Schnee überzugehen, wandelt sich das Fragezeichen in ein Ausrufungszeichen. Schlaff hängt nach dem herunter schalten der Kupplungsgriff am Lenker. Was ist jetzt wieder? Anhalten, Sichtprüfung. Schwer erkennbar, aber doch entdeckt offenbart sich der Schaden. Das Nippel am Bowdenzug hat sich so am Hebel abgeschliffen, daß es zu dünn geworden ist und durch rutscht. Ich hab einen Ersatzbowdenzug mit, aber der schlummert friedlich im Beiboot unter allen Gepäckstücken. Und es regnet gerade wie aus Kübeln. Kein Wetter um die Persenning freiwillig auch nur ein Stückchen zu öffnen. Außerdem ist ein Bowdenzugwechsel bei angebautem Beiwagen und in der alten Ausführung (mit der versteckten Rändelschraube) alles andere als lustig. Um an die Einstellschraube ganz unten am Rahmen heran zu kommen, muß das Gespann angehoben werden. Dann legt man sich darunter und fummelt das lange, meist schwergängige, weil verdreckte Gewinde heraus. Umgekehrte Reihenfolge beim Einbau. Das ist hier, alleine und bei diesen Verhältnissen nicht meine erste Option. Bewaffnet mit Kombizange und einer noch zu modifizierenden 6er Unterlegscheibe gehe ich dem Bowdenzug an die Seele. Ein paar Minuten später tut ein Provisorium zuverlässig an der Stelle seinen Dienst.
Es klingt vielleicht komisch, aber den weiteren Weg genieße ich total. Die Maschine macht, was sie soll, die tief verschneite Winterlandschaft ist grandios, es ist fast kein Verkehr und das Fahren mit Stützrad in tiefem Schnee / Matsch macht echt Laune. Großer Pluspunkt außerdem, man muß keine Balance halten. Das stelle ich mir bei zum Teil vereisten Abschnitten schwierig vor. Auch der grobstollige Reifen findet immer wieder Halt im Untergrund und läßt uns auch bergan recht gut vorwärts kommen. Wir überholen Autos, die scheinbar viel mehr mit der Glätte zu kämpfen haben. Einmal macht mir sogar ein Schneepflug – LKW Platz und läßt mich überholen. Einzig Vorsicht ist geboten, wenn das Beiwagenrad in den am Rand aufgeschobenen Tiefschnee kommt. Dann zieht die ganze Fuhre scharf nach rechts, noch tiefer in den Schnee hinein. Einmal lasse ich einen SUV vorbei und habe danach selbst zu tun, wieder los zu kommen. Etwas südlich von Evje trifft mein Weg auf die Hauptstraße nach Kristiansand. Ein paar dutzend mehr Kilometer waren das, aber dafür viel schöner und vor allem ohne den lästigen Wind. Kurz vor der Abzweigung laufe ich wieder auf ein paar Autos auf und fahre gemächlich hinterher. Plötzlich bremst mein Voraus und bleibt mitten auf der Straße stehen. Hallo! Mein Bremsweg endet ungefähr genau einen halben Meter von seiner hinteren Stoßstange entfernt. Ich möchte schon ärgerlich werden, aber ein aufgeregter Norweger in seinen Mittfünfzigern reißt die Fahrertür auf, rutscht aus, rappelt sich lachend wieder auf, schmiert sich den Schneematsch auf der Hose breit und kommt zu mir hinter. Ehe ich reagieren kann, klopft er mir herzhaft auf die Schulter und ein Schwall norwegischer Wörter prasselt auf mich ein. Sein freudiger Gesichtsausdruck und immer wieder Daumen hoch läßt auch mich lächeln, obwohl diese Aktion auch locker mit einer Delle in seinem SUV hätte enden können. So schnell wie er kam, flitzt er wieder zurück, die Hosenbeine naß vom Ausrutscher, die Schuhe durch vom Zentimeter hohen Schlick auf der Straße, aber ein glückliches Lachen auf den Lippen. Verrückte Skandinavier!
Die Hauptstraße ist ohne Tadel geräumt und gestreut. Es wird langsam dunkel und geht deutlich gen Süden. Aber nicht mit der Vehemenz, die ich erwartet hätte. Hmmm! Irgendwie nimmt die Maschine nicht mehr richtig Gas an. Als ob der Schieber nicht vollständig öffnet. Weiterfahren, Beobachten. Die Sache spitzt sich immer mehr zu, bis ich kaum noch im 4. Gang beschleunigen kann. Endlich kommt die ersehnte Tankstelle. Die Zapfsäule zeigt 15,3l an. Das ist neuer Rekord. Ich bin wohl nur noch mit heißer Luft hier her gekommen. Ein Blick unter den Tank und mir wird offenbar, warum die Leistung weg war. Rund um den Vergaser hat sich eine richtige Eisschicht gebildet.
Mit bloßen Fingern klopfe ich daran und das Gebilde fällt ab. Zwei Minuten warten und die Restwärme, die vom Motor her strömt hat die Temperaturunterschiede im Vergaser egalisiert und der Gasschieber läßt sich ohne klemmen wieder bewegen. Wie schön, jetzt hab ich mir aber einen heißen Kakao und Ostepølse mit Bacon verdient.
Viel zu zeitig kommen wir am Colorline Fährterminal an. Warten, Tee trinken, ausruhen. Auch hier kann ich problemlos mein Ticket direkt am Schalter lösen. Und auch hier bin und bleibe ich der Einzige in der Motorrad – Reihe.
Ein paar Worte mit interessierten Passanten werden gewechselt. Dann, ich telefoniere gerade mit Andre‘, kommt ein bärtiger junger Mann mit einem Wasserkessel winkend an mir vorüber und gibt mir zu verstehen, daß er jetzt Kaffee aufbrüht und ich eingeladen bin. Fröhlich schlendere ich zu dem zum Campervan umgebauten Transporter mit niederländischem Kennzeichen hinüber… und wieder zurück. Mein Emailletippel hängt noch am Motorrad und ist voller Sand. Erstmal ausspülen das Ganze . Eine Walters Mandler opfere ich gern den Menschen, die mich hier bewirten. Schnell entspinnt sich ein ausgelassenes Gespräch. Die beiden haben es zusammen mit ihrer einäugigen Huskydame bis über den Polarkreis geschafft und sind nun auf dem Nachhauseweg. Beim Quatschen vergeht die Zeit schnell. Er offenbart mir noch, daß er Hobbyfotograf sei und fragt, ob er Fotos machen darf. Ich bejahe und wir gehen hinüber zur AWO. Daß ich mit aufs Foto soll, hatte er nicht erwähnt. Schnell sind die Bilder im Kasten, er schreibt sich meine Mailadresse auf und verspricht, mir das Ergebnis seines Schaffens zu schicken. „Vielleicht sieht man sich an Bord nochmal und vielen Dank für den tollen Kaffee.“
Noch immer jage ich etwas meinen fehlenden Schlafstunden hinterher. Insgeheim besteht ja die Hoffnung, auf der Fähre etwas zur Ruhe zu kommen. Das hat jedoch bei den meisten Überfahrten, bis auf ein unruhiges Wegnicken, kaum einmal funktioniert. Auch dieses mal nicht, denn kaum ist die Maschine fest verzurrt und ich auf dem Passagierdeck angekommen, winken mir schon zwei Bekannte zu.
Er hat schon den Laptop aufgeschlagen und bastelt an den Fotos herum. Ich bin immer wieder beeindruckt, was für lupenreine Bilder bei Fuji schon out of the box entstehen. Als er fertig ist, sendet er mir diese gleich aufs Telefon. Hartelijk dank! Er beschäftigt sich auch mit Drohnenfilmerei und zeigt ein paar der grandiosen Aufnahmen aus dem tief verschneiten Finnland. Die geraden weißen Linien, welche die verschneiten Straßen durch die Wälder schneiden laden auch ein, dort mit dem Gespann entlang zu knattern, aber -25°C sind kein Spaß für Motorradfahrer.
Heute ist raue See. Ich merke, wie mein Magen grummelt. Alle Menschen auf dem Schiff, abgesehen vom Bordpersonal laufen in Schlangenlinien, einige sehen etwas blaß um die Nase aus. Die Partnerin des Fotografen hat die Seekrankheit voll erwischt. Wir reden mit ihr um sie abzulenken, aber es hilft leider nicht viel. Vier Stunden und einen Einkauf im duty free – shop später ist der Spuk vorbei und die Fähre legt im windig – regnerischen Hirtshals an. Wir verabschieden uns, nun wieder fröhlicher und mit mehr Farbe im Gesicht voneinander. Kaum aus dem Bauch des Schiffes, bläst der Wind mir schon wieder heftig in den Helm und ich suche mir eine geschützte Stelle hinter einem Gebäude, um mich zu wappnen.
Hinterbacken zusammen gekniffen und los. Gen Heimat. Es dauert nicht lange und die Augen wollen zu fallen. Dänische Nächte können so lang sein. Gefühlt muß ich alle 30 km anhalten. Selbst jetzt beim Schreiben dieser Zeilen muß ich gähnen. Irgendwann kann ich nicht mehr. Auf einem Parkplatz wird die Isomatte aus dem Beiwagen gezerrt und im windgeschützten Bereich neben dem Gespann ausgebreitet. 5 Minuten Schlaf bitte. Visier zu und gute Nacht. Nach einer halben Stunde schrecke ich hoch. Dem Rücken hat das gerade liegen gut getan, aber Regen prasselt auf den Helm und weckt mich. Also weiter. Die halbe Nacht verbringe ich damit, eine undichte Stelle am Hals zu finden. Das nervt, denn ich merke, wie mein Nacken langsam steif wird. Erst nach der dritten Tankstelle mit netter Bedienung, doppeltem CaiLatte, Zuckergußteilchen mit Zimt und einer warmen, freundlich eingerichteten Lounge, bekomme ich das Zugluftproblem in den Griff. Als es endlich hell wird, läßt auch der Regen nach. Ab und an blinzelt die Sonne durch die dicken Wolken. Ich genieße die Wärme auf meinem Gesicht und damit auch die Fahrt an sich wieder .
Bald nach der Grenze darf ich die Autostrada verlassen. Landstraße, wie schön! In Sommerland warten Andre‘ und Sanni auf uns. Wer kann schon von sich behaupten, auf dem Heimweg von einer Wintertour mit dem Motorrad nach Norwegen auch noch Grönland auf eigenem Sattel durchquert zu haben? Ich. 😉
Die Freude ist groß, sich wieder in die Arme schließen zu können, obwohl es ja erst wenige Tage her ist, daß wir uns das letzte Mal sahen. Motorrad in den Schuppen, Klamotten zum trocknen aufgehängt, Feierabend. Es gibt Kaffee, Futter und nette Gespräche. Im Hintergrund gibt „Der Boss“ alles, während ich selig auf dem Sofa lümmelnd immer kleiner werde. Sogar eine heiße Badewanne wird mir noch zuteil. Abends wollen wir noch was essen gehen, vorher zwei Stunden verordnete Bettruhe. Großartig dagegen wehren muß ich mich wirklich nicht.
Der Marktplatz der Stadt ist wie leer gefegt, fast alle Kneipen haben geschlossen. Ungewöhnlich. Aber wir finden eine gute Lokalität. Die Currywurst sticht für mich aus dem durchweg leckeren Angebot hervor. Sehr gute Wahl. Als wir wieder heimgekehrt sind gilt nur noch Zähne putzen, pullern und ab ins Bett 😉
Montag
Heute geht’s heim. Andre‘ ist schon zeitig los. Ja, heute ist kein Wochenende mehr. Sanni hat home office und so bleibt ein wenig Zeit noch zusammen zu frühstücken und zu schnacken. Bald hab ich meine sieben Sachen verschnürt und den Ölstand kontrolliert. Ein herzlicher Dank und ein kräftiger Drücker an Sanni für die Gastfreundschaft und die schöne Zeit. Und schon sind wir wieder unterwegs. Von hier aus bietet sich für die Heimreise als schnellster Weg eine Hamburgdurchquerung an. Hamburg an einem Montag morgen steht für viel Verkehr. Naja, wir werden es überleben! Und tatsächlich, es funktioniert. Die Sonne lacht und hebt die Fahrlaune.
Schon wird der Moloch im Rückspiegel kleiner. Er hat uns wieder unbeschadet frei gegeben. Dafür lauern die nächsten dicken Wolken am Horizont. Unbeschwerte Kilometer folgen. Die Gedanken sind bereits bei den Lieben zu Hause, als in Salzwedel (selbe Tankstelle) urplötzlich die Kupplung wieder beginnt immer schlechter zu trennen. Tanken, nachstellen und gut zureden hilft mir aus der Stadt heraus Richtung Autobahn. Ein paar Ampeln schaffen wir so, dann ist wieder Schluß. Wenn ich ab jetzt für den Rest der Heimreise vom anhalten und wieder los fahren rede, meine ich anhalten mit eingelegtem Leerlauf, los fahren nach dem weiter oben (sowohl weiter oben im Text, als auch weiter oben im Norden) schon beschriebenen und erprobten System. An einer Ampel in der Innenstadt mit entsprechendem Verkehr ein Ding zwischen Schiebecontest, Ärgernis weil Hindernis für gestreßte Nachhausefahrer und Belustigung der Passanten. Was solls, hier kennt mich eh keiner. Auf der Autobahn hingegen ist das alles irrelevant und die Kilometer schrumpfen.
Einen Zwischenstopp mit eventueller Reparaturmöglichkeit habe ich noch bei meinem Kumpel Rose eingeplant, und den nehme ich trotz aller Widrigkeiten gerne wahr. Er ist selbst versierter AWO -Schrauber und -Langstreckenfahrer. Und seine Schmiede liegt, bezogen auf die in den letzten Tagen zurückgelegte Gesamtstrecke, nur einen Katzensprung entfernt der kürzesten Verbindung zwischen mir und zu Hause. Dort angekommen ist es schon finster. Die Freude ist groß, Tee wird ausgeschenkt und das Neueste aus aller Herren Länder ausgetauscht. Warum nur konnten sich unsere Wege nicht schon viel früher kreuzen mein Gutster? So selig sitzend und erzählend kommt nicht gerade Schrauberlust auf und ich entscheide, das letzte Stückchen „unrepariert“ weiter zu fahren und stattdessen die Zeit zum ausruhen zu nutzen. Das sollte ebenfalls ein Heimspiel werden, so oft sind wir diese Strecke schon gefahren. Munter bin ich auch wieder, also los. Anrollprozedur, ein letzter fröhlicher Wink und schon sind wir wieder auf Spur. Einmal tanken noch, ein kleiner Spaß noch ( Eis schlecken bei der Wintertour ) und schon lassen wir das Dresdner Lichtermeer wieder hinter uns .
Ab hier werden die Lichter vor und hinter uns überschaubar, nur noch wenige Fahrzeuge sind unterwegs. Die meisten LKW’s drängen sich zum schlafen auf die überfüllten Parkplätze. Alles läuft. Mein Sitzefleisch ist fast aufgebraucht, aber “ die Pause war heilsam und das Stündchen bis heim schaffst du auch noch“, motiviere ich mich selber. Daheim wartet eine trockene Garage, eine heiße Dusche und ein warmes…..
BÄÄÄM !!!
Ein plötzlicher Impuls läßt mich einen Purzelbaum über den Lenker machen. Ich komme auf dem Reparaturstreifen zu liegen. Im Augenwinkel sehe ich das Gespann an mir vorbei an die Leitplanke fahren. „Jetzt hat grad jemand RICHTIG Glück gehabt!“. Das ist mein erster Gedanke, noch bevor ich realisiere, was passiert ist. Kaum habe ich mich aufgerappelt und mich umgeschaut, hält die Polizei mit Blaulicht neben mir. Sie sind zufällig hier und fragen, ob ein Unfall passiert ist. Nach dem vielen Plastik zu schließen, das über die Bahn verteilt ist und nicht zu mir gehören kann, „Ja ich glaube schon.“
Den weiteren Verlauf schildere ich später einmal detaillierter, da der Fall noch nicht abgeschlossen ist. Nur soviel. In dieser Nacht war eine ganzes Kommando Schutzengel für mich unterwegs. Es hat dafür gesorgt, daß mich kein anderes Auto oder LKW überfahren hat, daß ich so gute Kleidung und einen richtigen Helm an hatte und weich gelandet bin, daß das Gespann nicht in totalen Schrott verwandelt wurde und ich, mehr Glück als Verstand, auch die letzten Kilometer noch auf eigener Achse heim zu meiner Familie geschafft hab. Es war genügend Alteisen zwischen meinem Leben und dem anderen Fahrzeug. Das adelt meine alte Lady, die ab sofort und hochverdienterweise den Namen „Die Allmächtige“ trägt.
Ein Abenteuer mit glücklichem Ausgang. Werde ich je wieder in die Welt hinaus fahren können, ohne daß die Lieben zu Hause tausend Tode sterben vor Sorge? Temporär ist mein Fernweh weit in den grünen Bereich zurück gekühlt.
Euer Bernd
p.s. nehmt mir die schlechten Bilder nicht krumm.
Wahnsinn. So super geschrieben, dass man meint, man wäre hinter Dir gefahren.
Megaaaa toller Bericht. Ich hatte endlich mal wieder ein interessantes Buch vor mit, auch wenn’s nur’n Scheiß Handy ist.
Vielen lieben Dank
Andre
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Vielen Dank für den netten Kommentar 🍀
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Mein Bernde,
Ich bin froh und stolz, dich und deine Familie zu kennen und ein kleiner Teil deiner Abenteuer zu sein.
Liebe Grüße an zuhause aus Eckernförde
André
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Tausend Dank mein Freund.
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Bernde, ich ziehe (wieder) meinen Hut und verbeuge mich ganz tief.
Dein Buch von der Nordkap-Tour steht bei mir in der vordersten Reihe im Bücherschrank. Dieser Bericht wäre ein neues Buch wert. Von der Story her, von Deinen Erlebnissen, Deiner Unerschrockenheit und ganz und gar von der Poesie Deiner Erzählung her!
Tiefsten Respekt Bernd, tiefsten Repekt!
Mit besten Grüßen aus Chemnitz, Micha
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Bernde, ich ziehe (wieder) meinen Hut und verbeuge mich ganz tief.
Dein Buch von der Nordkap-Tour steht bei mir in der vordersten Reihe im Bücherschrank. Dieser Bericht wäre ein neues Buch wert. Von der Story her, von Deinen Erlebnissen, Deiner Unerschrockenheit und ganz und gar von der Poesie Deiner Erzählung her!
Tiefsten Respekt Bernd, tiefsten Repekt!
Mit besten Grüßen aus Chemnitz, Micha
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Für solche Handlungen hätte es in der Kinderstube einen Satz warme Ohren gegeben und eine Litanei an unmißverständlichen Erklärungen bezüglich deines Geisteszustandes wäre auf dich nieder gegangen. Nun, im Erwachsenenalter kann es einem immer noch passieren, bei einer Einordnung der geistigen Nivellierung nicht die hellste Stelle im Leben erwischt zu haben. Es gibt ganz selten im Leben aber Fälle, wo ein „ist aber schön“ oder ein „haste fein gemacht“ des Lobes und Anerkennung nicht ausreichend gerecht werden, so das man beispielsweise wieder zu einem „Du hast nicht mehr alle Latten am Zaun!“ verfällt. Nur aber, wie in diesem deinigen Fall, der Fundamentalität bezüglich Anerkennung und Respekt größeren Ausdruck zu verleihen! Also dein Handeln als zwar durchgeknallt zu bezeichnen, aber in einem besonders positiven unterhaltsamen Bezug. Quasi mit einem breiten Lächeln im Gesicht nach dem Lesen deiner Geschichte. Mein lieber Freund, ein Laphroaig reicht da garnicht. Auf dich, Bernde!
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