🍀 Die kleine Flucht

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Es wurde Zeit. Höchste Zeit.

Ernte und Bodenbearbeitung auf den Feldern waren erledigt. „Mal raus und weg?“ Meine Frau fragte überflüssigerweise den Bedarf ab. Ich war so überrascht, daß ich erst einen Scherz vermutete. Nach realisieren der Ernsthaftigkeit dieses schönen Vorschlages begann die Planung für dieses raus & weg.  Freundliches Weiß winkte vom Kalender für die nächsten Tage zu uns herüber. Klasse!

Wobei: Planung? Eher nicht. Geplant planlos wollten wir uns treiben lassen.

Wir wussten nur, gen Norden, schlafen im Auto, Donnerstag Nacht zurück.

  • Breite Matratze und Schlafsäcke im Taunus? Probeliegen erfolgreich? Check!
  • Luft, Öl, Kühlwasser, Benzin? Check!
  • 10er,13er,17er,19er Schlüssel, Knipex, Schraubenzieher, Ductape, Hammer? Check!
  • Futter, Getränke, Atlas, Wechselschlüppi? Check!
  • Jede Menge Kopf zum freimachen? Sowas von C H E C K!

Kann los gehen!

Sonntag

Wir ernennen die Kids zu Hütern über die Schlösser und Ländereien und fahren los. Zunächst nicht weit. Genau genommen nur 10 km. Eine Einladung zum „chill, grill and animal watching“ bei sehr guten Freunden nehmen wir als wunderbaren Einstieg in unsere paar freien Tage liebend gerne an. Schwer hingegen fällt der Abschied. Nicht nur, weil wir gemütliche Stunden erlebten, viel mehr wegen der großen Menge an vorrangig fleischlichen Leckereien. Wir hiefen uns mit dicken Bäuchen ( Wozu brauchen wir jetzt eigentlich noch die Essensvorräte auf dem Rücksitz? ) in die Sitze und knattern in die tief stehende Sonne davon.

Landstraße! Großartig! Sofort stellt sich Urlaubsfeeling ein.

Wir cruisen dahin. Weißwasser, „Wilhelm Pieck – Stadt“ Guben, Eisenhüttenstadt. Kurze Pullerpause und die Nasen in die Karte.

Weiter? Ja! … Nein! Das Auto gibt keinen Muchs von sich. So früh schon ein Ausfall? Ein Blick in den sehr übersichtlichen Motorraum verrät: nichts auffälliges zu sehen. Ich wackle an den Anlasserkabeln. Das kleine Kabel ist ein bisschen locker. Sollte das die Lösung sein? Ohne Murren springt unser Mobile an. Coole Sache!

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Langsam weicht der Tag der dunklen Zeit. Das angenehm gelbe Licht der Scheinwerfer erhellt unseren Weg. Bald ist von der Umgebung kaum noch etwas zu erahnen und wir beschließen, uns gen Autobahn zu bewegen. Nach längerer Fahrt durch dünn besiedeltes Gebiet empfängt uns Neuhardenberg mit seiner wunderschönen Schloßanlage. Fein beleuchtet, wecken die Gebäude und der gesamte Komplex die Neugier, sich mehr mit der Geschichte dieses Ortes und der Gegend beschäftigen zu wollen.

Wir bemühen das Telefon, um irgendwie den Weg zum Berliner Ring zu finden. Dabei kommen wir in den Genuß einer Umleitung. Kann das sein? Im Scheinwerferkegel taucht eine alte Pflasterstraße auf. Hier scheint jeder einzelne Stein sich den Rädern entgegenzustrecken und seine jahrhundertealte Geschichte erzählen zu wollen. Der Ausdruck „holprig“ trifft die Sache nicht ganz. Historisch interessant ist schon näher dran.

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Auf dem Ring und einmal in Fahrt fliegen die Kilometer wieder schneller vorbei. Müde sehen wir uns an und sind uns wortlos einig. Die nächste Ausfahrt ist die unsere. Irgendwo biegen wir auf einen Plattenweg ab, zwischen hohem Schilf hindurch, vorbei an Teichen. Bald verliert sich der Weg in einer Wiese. Das Schilf gibt uns ein Gefühl von Deckung. Schnell ist unser Schlafplatz im Fond gemütlich hergerichtet. Platz genug für zwei. Wildromantisch!

 

Montag

Der Tau auf dem Autodach und an den Scheiben reicht aus, um ein lachendes Smilie zu kritzeln. Ein in die Scheibe eingeklemmter Pullover schirmt unsere Gesichter noch ein wenig von der aufgehenden Sonne ab. Ich liege blinzelnd mit der Nase an der Fensterkurbel und freue mich, langsam munter werdend, über unsere Lage. Anja ist in ihrer Mumie eingewickelt kaum zu finden und schläft noch selig. Ganz bequem soweit unser Nachtlager, stelle ich zufrieden fest.

Zur Morgenstunde ist es noch angenehm frisch, aber heut wird wohl ein warmer Tag werden. Ganz ohne Hast wird der Kocher in Stellung gebracht, denn Kaffe wird gewünscht.

Einen Bundeswehr- Panzerkeks in der einen, das Emailletippel in der anderen Hand studieren wir die Karte und den heutigen Weg weiter nach Norden. Zum schnell hinein springen taugen die Teiche hier nicht gerade, also gibt es Katzenwäsche aus dem Wasserkanister und als besonderen Luxus das restliche warme Kaffeewasser zum Zähne putzen.

Liebe Freunde von uns sind an der Ostsee im Urlaub. Vielleicht kann man sich ja auf ein Käffchen treffen? Die Idee entpuppt sich als Volltreffer. Sie freuen sich riesig und nach einer ziemlich gechillten Autobahnetappe liegen wir uns erst in den Armen, dann, 5 min. später am Strand in Warnemünde. Welch wunderbare Fügung. Natürlich hupfe ich mit meiner noblen Blässe erstmal in die Fluten. Salzwasser in Mund und Augen spüre und schmecke ich erstens, wir sind hier genau richtig, zweitens, das wird ein schöner Nachmittag.

Zu Abend wollen wir eigentlich wieder los, den Freunden ihren Urlaub lassen, doch das wird strikt abgelehnt. In Anbetracht der Aussicht auf ein längeres nettes Zusammensein wehren wir uns nur halbherzig gegen die Einladung. Auch der Abend wird nett, lustig, kulinarisch bis zum Platzen und lang. Hafen, Strand, die vielen leckeren Eisdielen und der Besuch bei „Peter Pane“ lassen die Zeit kurzweilig vergehen.

 

Dienstag

Es gibt das volle Urlaubsverwöhnprogramm mit lange ausschlafen, lecker Früchstück, und Plauderei. Doch bald packen wir unsere sieben Sachen, starten den Motor und rollen dankbar weiter. Es wird gewunken, bis unsere lieben Gastgeber im Rückspiegel nicht mehr zu sehen sind.

Wollen wir mal nachsehen, ob diesmal in der Nordsee Wasser drin ist? Klar, super Idee! Unsere Route tastet sich entlang der Ostseeküstenlinie zwischen Feldern den kleineren und gößeren Farbtupfen auf der Karte. Auf Anhieb überkommt uns wieder dieses Gefühl des Glücklichseins ohne Hast. Schon dieser Geruch nach „altem Auto“ beim einsteigen trägt, warum auch immer, dazu bei. Habt ihr eure Nasen schon einmal solchem Reiz ausgesetzt? Dann wisst ihr, was ich hier zu beschreiben versuche.

Bei Niendorf führt die Straße nahezu direkt am Wasser entlang. Hohe Pappeln spenden den abgestellten Vehikeln wohligen Schatten, ein Asia – Imbiss bietet Verköstigung feil. Kennt ihr das? Man giert nach Bratnudeln mit Hühnchen und Sweet Chilli. Der Gedanke daran läßt uns schon das Wasser im Munde zusammenlaufen. Es ist beschlossen, wir bleiben hier. Asiatische Köstlichkeiten an deutschem Ostseestrand? Fetzt!

Ein Paar Taler sind schnell im Park – O – Mat verschwunden, die Decke geschnappt und ab an den Strand. Sand, Meer, angenehme Atmosphäre trotz, nein ich denke eher wegen der spielenden Kids und unaufgeregten Eltern. Auch die älteren Semester in den Strandkörben haben an dieser Lage wenig auszusetzen. Ein wunderbar gerade auch für die ganz Kleinen geeigneter flacher, sandiger Einstieg ins kühlende Nass macht dieses Fleckchen Erde erinnernswert. Man kann schier ewig durch knapp unter kniehohes Wasser schlendern. Wir genießen das Essen, die Blicke verlieren sich in den Wolken und hinter dem Horizont.

 

In Klütz entdecken wir diesen bunt und liebevoll geschmückten Laden in einem Backsteinbau. Dort sitzt eine Frau am Spinnrad, dreht Wollfäden zu Garn, begrüßt uns freundlich, fährt aber mit ihrer Arbeit fort. Leise Musik spielt im Hintergrund. Prompt entdecken wir ein paar mit Geist und Liebe hergestellte Gegenstände, die genug Seele haben, um dem Beschenkten auch wirklich eine Freude zu bereiten.

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Über die Trave trägt uns eine kleine Fähre, die wir gar nicht mal so einfach finden. Es wird sich brav zwischen anderen Autos, Fußgängern und Radfahrern eingereiht. „Aber der Originallack ist das nicht mehr, oder?“, spricht mich einer der Radler an. Als er ein „Doch!“ zu hören bekommt, ist er begeistert. Im Allgemeinen freuen sich viele Menschen ehrlich, mal wieder so eine „alte Kiste“ zu Gesicht zu bekommen. In Sammlungen verstauben schon genügend Schätzchen, ohne den Himmel und die Straße je wieder zu sehen. Das finden wir schade. Schon legen wir auf der Travemünder Seite an.

 

Nächster Halt: Plön. Ein Imbiss direkt am kleinen Plöner See lockt mit Kaffee und Currywurst, Fritz Kola und Matjesbrötchen, kredenzt von einer schlagfertig wortgewandten, liebenswerten Bardame. Beim Kaffee hat sie sich nur für meine Frau 😉 besonders ins Zeug gelegt.

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Wieder „on the road“. Anja mit der Nase im Atlas. Ich am Volant, dahinträumend, den Weg voraus gen Friedrichskoog vor dem inneren Auge. Der Himmel verdunkelt sich. Regenwolken ziehen heran. Bald können sie ihre schwere Last nicht mehr halten und es beginnt zu regnen. Erst zaghaft. Auf der Motorhaube versuchen sich die Tropfen noch festzuhalten. Es sieht wunderschön aus. In mir steigt eine freudige Aufgeregtheit hoch, hatten wir uns doch insgeheim mal eine Nacht im Regen gewünscht. Wenn die Tropfen auf dem Dach ihre Wassersinfonie anstimmen. Wir, lauschend, mit Gänsehaut, gemütlich in unsere Schlafsäcke eingemummelt mitten drin. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die das Herz überlaufen lassen vor Freude.

„Wacken? Wollen wir durch Wacken fahren? Es liegt genau auf unserem Weg.“, lässt meine Frau mich wissen. „Hab’s gerade zufällig auf der Karte gefunden.“ Klar, auch das zeigen wir unserem alten, blauen Urlaubsmobile. Das WOA verpassen wir zwar um ein paar Tage, aber egal. Scheibe runter, Ellenbogen raus und schnuppern, ob noch Metal in der Luft liegt.

Hochdonn. Der Fährmann will kein Geld. Weiß doch jeder, daß das Übersetzen über künstliche Wasserstraßen nichts kostet! Touristen! Backbord streckt sich die Hochdonner Eisenbahnbrücke über den Nord – Ostsee – Kanal. Deren Silhouette wirkt im abnehmenden Licht eher grazil als standhaft.

Unterdessen haben wir Kontakt zu ebenfalls geliebten Menschen aufgenommen und dürfen diese nun heimsuchen. Aber erstmal geht es wie immer an die Spitze. Auto aus. Die Zeit reicht gerade noch zum abschließen. Hoch auf den Deich!

Eine frische Brise landeinwärts, die See voraus, Salz in der Luft und sogar Wasser ist da. Was braucht man mehr? Nichts! Man steht einfach da. Kopf aus, Herz an und weiß, man ist am richtigen Fleck. Wenn es selbst uns Touris so geht, wie schwer wird es erst den Einheimischen fallen, hier weg zu müßen? Wir halten uns an den Händen.

Romy, Nick und Erna warten! Langsam ziehen wir uns vom Deich zurück, wenden zur Belustigung aller, vor einem drinnen wie draußen vollbesetzten Lokal in 6 Zügen ohne Servolenkung unseren „Schwertransporter“.

Schön euch endlich mal wiederzusehen! Ein netter Abend mit viel Schnack, Schönheiten in der Garage, lecker Getränk und noch mehr Schnack endet wieder gemütlich im Heck unseres Autos. Tausend Dank und gute Nacht.

 

Mittwoch

Hufgetrappel? Seit wann träume ich von Pferden? Aber es ist echt. Mitten in der Nacht galoppieren die Jungtiere auf der Koppel, gleich auf der anderen Straßenseite, wie wild umher. Beunruhigt sie etwas? Mich haben sie jedenfalls aufgeschreckt. Nun liege ich wach und es kommen die Gedanken. Anja schläft friedlich auf ihrer Seite unseres blechernen Ehebetts auf Rädern. Ich bin selig, dich hier bei mir zu sehen und solche Erlebnisse teilen zu können. Oft wandern selbst nach einem Streit im Schlaf die Hände zueinander! Die Gewissheit, der andere ist ganz nahe.

Muß man in echt mit über 40 noch solche Aktionen wie – im Auto pennen – haben? Kein Komfort, keine Dusche, keine Air Condition, kein Page, der das Bett zurück schlägt? Ist das nicht etwas für die Jugend? Oft werden uns diese Fragen gestellt, meist wortlos, nur mit den Augen.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann? Tot sind wir noch lange genug. Alles abgedroschene Phrasen? Wir mögen das aber so erleben. Und hoffentlich mit 70 noch so ticken!

Einfach. Zusammen. Unterwegs.

Morgens in das über viele Jahre geliebte, vertraute, befreundete, nicht nur von Lachfalten verzierte, 10cm vom eigenen entfernte Gesicht schauen dürfen. Mittags sich woanders Beine baumelnd bei offener Heckklappe eine Limo gönnen. Auch mal nichts sagen müßen. Auch zuhause, zusammen arbeiten zu dürfen und, wichtiger noch, auch zu können, dafür bin ich dankbar.

Die Spontanität, „jenes sprunghaft Gethier“, entwischt uns nur allzu oft im Alltag. Wir fangen sie uns wieder ein.  Es tut uns gut und wir tun niemandem weh. Und ja, ich gönne jedem seinen „Bed,Bar,Pool,∞“ – Urlaub, wenn er nur glücklich damit ist und mich in meiner Welt glücklich sein lässt. Ich döse wieder ein.

Als der Morgen graut, krabbeln wir für Kaffee und Tee aus dem Ford.

– Wer morgens zerknittert aufsteht, hat am Tag viele Entfaltungsmöglichkeiten. –

Beim Frühstück beratschlagen wir, wo der nächste Pin in unsere Karte hineinpieksen soll. St. Peter Ording klingt nach jenem hervorragenden Ort für eine gute Zeit am Strand, Weite und Meer. Abgemacht! Und danach ziehen wir eine Schleife über Eckernförde und lassen uns langsam wieder nach Süden treiben. Nur kurz und eher mit einem Augenzwinkern wird die Weiterflucht nach Norwegen angesprochen 😉

Der Abschied aus Friedrichskoog fällt immer schwer. Tschüß ihr lieben, Machs gut du flaches Land hinter dem Deich. Bis hoffentlich bald!

Viel hat der Gasfuß heute nicht zu tun. Einmal in Fahrt gleiten wir gemütlich über die Landstraßen nordwärts. Der Vierzylinder brummt wie gewohnt stoisch vor sich hin. Ist es dieses, im Vergleich zu modernen Vehikeln ungeschliffene, rauhe, manchmal holprige Benehmen, das den geneigten Insassen zu dem Schluß kommen läßt, Oldtimer hätten noch Charakter? Eben nicht perfekt, so wie man selber auch?

Die nächste „Herausforderung“ wartet. Geld abheben im mondänen Badeort St. Peter Ording. Es scheint Markttag zu sein. Viele Zweibeiner, teils mit ihren Vierbeinern unterwegs tragen zum Gewusel bei. Anstrengender sind da schon diejenigen Verteter unserer Gattung, die genervt in ihren Autos auf ein weiterrücken der Kolonne warten. Wir finden einen Parkplatz, dessen Erbauer wohl nur einen smart fortwo als Maß für die Parklücken übrig hatten. Nur leider haben sie vergessen, dies auch entsprechend zu beschildern. Vielleicht ein traurig schauender Bentley mit dem Untertitel: „Ich muß draußen bleiben!“ Die Notwendigkeit des Einparkens eines doppelt so großen Autos ohne Lenkhilfe wurde völlig ad absurdum geführt. Oder es kommt mir nur so vor. Nun ja, das Geld bekomme ich recht flott aus der volks- und raiffeisernen Kassenmaschine. In den 2 Minuten muß Anja umparken, weil ein Blondchen es ernsthaft supereilig hat, ihr Schiff aber nicht aus der Lücke herausgezirkelt bekommt. Immer mehr Autos drängen auf den Parkplatz ein. Bald geht es weder vor noch zurück. Nur schnell weg hier. Mit knapper Not entfliehen wir also dem Kollaps.

Ein paar Straßen weiter finden wir das Gegenteil vor. Kein Gedränge, freie Parkbuchten in Hülle und Fülle. Bis zum Strand ist es nicht weit. Bevor wir St. Peters Schatz besuchen dürfen, zahlen wir Kurtaxe. Dann steht einer Erkundung der ausnehmend schönen, heute zu allem Überfluß in tolles Licht getauchten Strand- und Dünenlandschaft nichts mehr im Wege. Wieder schießen Glückshormone ein. Wir lassen sie ihre Arbeit tun, genießen den Wind um die Nase. Unter und neben den Pfahlbauten, für die das Örtchen bekannt ist, tummeln sich Möwen. Einige dieser storchbeinigen Behausungen trotzen bereits Jahrzehnte dem Salz, dem Sturm und der Sonne. Hier kann man, vielleicht versteckt im Windschatten einer der Dünen glücklich sein.

Hand in Hand schlendern wir über den endlos breiten Strand zurück zum Wagen. Dicke Wolkenhaufen zeichnen sich am Firmament ab. Vielleicht gibt es doch noch Regen.

Durch Dörfer und Städtchen geht es unaufgeregt gen Eckernförde. Dort wollen wir Andre‘ treffen. Er und seine Familie sind uns, seit wir uns kennengelernt haben, sehr ans Herz gewachsen. Doch nur allzu selten klappt es auch, sie wiederzusehen. Darum ist die Freude besonders groß. Es gibt viel zu erzählen. Nachmittags erkunden wir Hafen und Altstadt, schlecken Eis, entdecken die stockrosenbestandenen kleinen Gässchen, finden schließlich ein Fischrestaurant, dessen lautlosem werben wir nicht entgehen können und kehren ein. Schnell stellt sich dies als hervorragende Wahl heraus. Frische Zutaten von Könnerhand zubereitet und flott serviert begründen den guten Ruf des „Fischdeel“. Wir sitzen draußen, schmausend und schnackend und lassen die Zeit vergehen.

 

Danke für die schönen Stunden. Nur ein Problem, es war viel zu kurz 😉 . Bevor heute die Sonne untergeht, wollen wir noch ein paar Kilometer zurücklegen. Wir lassen uns parallel zur Elbe flußaufwärts in den Süden fallen, genießen die nachmittäglichen Eindrücke entlang des Weges, finden uns in unbekanntem Terrain wieder. Es könnte auch ein fremdes Land sein. Zuhause kennt man Schleichwege, versteckte Winkel und bewegt sich sicher. Hier ist alles neu für uns und das Aufgenommene wird sorgfältig abgespeichert. Auch wir finden unseren Weg über kleine und kleinste holprige Sträßchen oder weiche Sandwege. Irgendwo da drüben muß die Elbe sich schlängeln.

Unbeirrbar tastet der gelbe Scheinwerferkegel den wechselnden Straßenbelag vor uns ab. Die wenigen entgegnenden blau- weiß grell durchs Dunkel schneidenden Xenonstrahler nötigen die Augen, sich Halt an der Fahrbahngrenzlinie zu suchen. Vier glühende Paar Diamanten tauchen aus dem Straßengraben auf. Dahinter die gedrungenen Silhouetten der Graukittel, die sich unter einer Eiche ihr Abendbrot aufsammeln. Keiner der Lichtpunkte macht Anstalten, sich auf die Straße zu begeben und so rollen wir unbehelligt vorbei. Unweit der Begegnungsstelle hüllt eine Wand aus rotem Licht und gelbem warnblinkgeblitze die Allee ein. Ein Wildunfall?

„Ihr wollt doch jetzt nicht hier im Stau stehen?“ Eine Frau hält mit offener Scheibe neben uns. Sie ist gerade umgekehrt und weiß eine Abkürzung. Wir folgen ihr. Zurück, links, ein paar einzelne Häuser, Übergang zu Sandpiste, durch den Wald, Holperstraße, rechts und fort ist sie. Als kleinen Dank schicken wir eine Lichthupe hinterher, Warnblinker erwiedern.

„Lass uns irgendwo anhalten.“ Wir nehmen einen Rundblick auf unserer Karte. Diese kleine Stichstraße in Richtung Elbdeich wird uns zu einem guten Platz führen. Genug für heute! Das letzte Tuckern verhallt zwischen den Bäumen. Gerade noch im Blick die Elbbrücke bei Dömitz. Über uns breitet sich der Nachthimmel wie eine schützende und beruhigende Decke aus. Kein Ton aus dem Unterholz, nur ab und an leises Rauschen von in der Ferne vorbeifahrenden Autos.

Kiefern und Waldboden verströmen jenes einzigartige Aroma der Erinnerung. Gedanken breiten sich wie ein Teppich vor mir aus. Waldcampingplatz Bansin. Kiefern und dicke Buchen. Ein Campinganhänger mit Vorhäuschen, 10m vom Abgrund entfernt. Das meditative tucktucktuck der Fischkutter. Weit hinten, schon fast über den Horizont hinweg große Schiffe, die ins Unbekannte fahren. Damals noch Schuljunge, sind mir diese ewig alten Eindrücke, der Blick von der Steilküste aufs Meer hinaus, der Sand zwischen den Zehen und im Gewinde des Sonnenölverschlußes, der frühe Gang ( immer eine Mutprobe ) ins kalte Wasser mit meinem Vater, ein liebevoll von der Mutter gedeckter Frühstücks – Campingtisch, an dem ich in Mollidecken eingewickelt heißen Kakao und Buttersemmel mit Salz genoß, und eben jener Duft wieder so präsent.

Das Doppelbett wartet!

Donnerstag

Wir können es nicht verleugnen, die Richtung unserer Fortbewegung ist (leider) eindeutig heimwärts. Schon gestern mußten fernmündlich „Dinge“ geklärt werden. Darunter leidet der Urlaubsmodus doch schon merklich. Aber so ist das nun mal mit kleinen Flüchten. Sie sind auch kurz.

Aber erst gibts nochmal wertvolle Momente im Grünen. Ich am Kocher, meine Frau lüftet die Mumien. Klare Rollenverteilung 😉 . Großzügig plündern wir unsere letzten Essensreserven. Das Ergebnis ist eine wilde Mischung aus Himbeer- Sahne- Doppelkeksen, Panzerplatten, Riegeln und Süßigkeiten. Jeder pickt sich heraus , auf was er Lust hat. Wir machen es uns hinten gemütlich. Morgen früh schon wartet wieder der Alltag. Letztendlich raffen wir uns doch auf, packen etwas lustlos alles zusammen und verabschieden uns von diesem schönen Platz.

Bis Wittenberge ist die Elbe auf Anjas Seite. Dann queren wir den Fluß und betreten „Westelbien“.

Osterburg ist uns noch unbekannt. Was wir aber genau wissen ist, daß sich dort sicher ein Käffchen und ein Stück Kuchen finden lässt. Das Städtchen empfängt uns mit einem belebten Zentrum. Viele Leute sitzen in der Sonne und erzählen sich das Neueste. Knubbeliges Kopfsteinpflaster ziert die Hauptstraße und verleitet zu Schritttempo. Da es die Sonne gut mit uns meint und sich der Ford schon mächtig aufgeheizt hat, finden wir Zuflucht im Schatten einer Bäckerei mit Cafe‘. Die sehr nette und lustige kleine Asiatin hinter der Theke macht uns Lachsbrötchen, Schinken und Ei- Sandwich, ein riesiges Stück Schokostreusel, Kaffee und Kakao mit Sahne zurecht. Wir nehmen draußen Platz. Sie tafelt auf, findet auf dem stelzbeinigen Tischlein kaum Platz für all die Leckereien. Eine fast schon dekandente Zusammenstellung für unsere Verhältnisse. Unsere Augen treffen sich und wir müßen lachen. Dann fällt das Mittagessen heute eben aus.

Mit aufgefüllten Energiereserven und etwas tiefer gelegtem Auto gehts weiter Richtung Leipzig. Erst noch über Land, dann auf die Autobahn. Wir reihen uns in die Blechlawine ein und fressen Meile um Meile. Unglaublich, wie rücksichtslos Menschen ihre fahrbaren Untersätze als Waffe und Druckmittel einsetzen.

Leipzig, Paunsdorfcenter. Kleine Besorgungen, ein Eis auf die Hand und Menschen beobachten. Wir sind schon eine verrückte Spezies. Mitten in der Woche, wenig los und doch zu wuselig. Was wird hier wohl am Wochenende oder kurz vor Weihnachten abgehen? Meine Gedanken gleiten davon, zurück an den Elbdeich, wo wir mit ein paar Schafen in der Ferne alleine waren. Beides hat seinen Reiz, doch dem einen kann man sich stundenlang aussetzen, ohne Schaden zu nehmen.

Das „H“- Kennzeichen öffnet uns den Weg durch Leipzigs Zentrum. Ebnen tut es ihn aber keinesfalls. Baustellen, rote Ampeln, Stau, Hitze, gefühlte 10 cm hinter uns ein ortsunkundiger türkischer Sattel- LKW mit laut quietschenden Bremsen und enormer Lust zum Hupen.

Raus hier ich brauch ne Limo! Wir hangeln uns von Ampel zu Ampel bis Leipzig Südost. Dann endlich wird es ruhiger. Bei Katja gibts Erholung und eine Limo. Danke! Wir verquatschen uns eine ganze Weile und machen uns wieder auf den Weg.

Wenn wir dem Heimweg noch einen kleinen Schlenker hinzufügen, haben wir alle östlichen Bundesländer gestreift. Thüringens östliche Spitze durchkreuzen wir zwischen Borna und Altenburg. Geschafft! Jetzt auf die A4, das Auto kennt den Weg nach Hause.

Im Rückspiegel färbt sich alles rot- orange. Die Sonne verabschiedet sich. Vor uns Rücklichter und heraufziehende Nacht. Wir inhalieren die restlichen Minuten der selbstgegebenen Freiheit, kehren dennoch wieder gerne zurück.

 


Ein Gedanke zu “🍀 Die kleine Flucht

  1. Habt ihr wieder mal alles richtig gemacht.
    Denn – Bukowski zitiere ich gern – mit jedem verplemperten Abend versündigt man sich grausam am natürlichen Lauf des einzigen Leben, das man hat! 😉

    Gruß Steppe

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