„Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“
– Katharina von Siena –
Leise quietschend hält der Zug in Großenhain und entlässt seine Fahrgäste in einen sonnenstrahlenden Tag. Kaum vor das Bahnhofsgebäude getreten, sprechen mich schon zwei Herren älteren Semesters auf meinen Rucksack an, fragen ob ich ein Pilger wäre und nach dem woher und wohin. Ein nettes Gespräch entsteht. Die beiden waren zwischen Görlitz und Zittau auf einem Pilgerweg unterwegs und geben unumwunden zu, komplett falsche Vorstellungen von der Region mitgebracht zu haben. Abgesehen von der reichen Historie zeigen sie sich besonders begeistert von der vielen erhaltenen und wiedererblühenden Bausubstanz und sind einer Meinung, unbedingt wieder hier her kommen zu wollen.
Es ist bei allem Klischee Ost / West immer wieder eine Wohltat, sich auch unbekannterweise so offen austauschen zu können und ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Klima der Wertschätzung zu schaffen.
Der Weg möchte mich abholen. Bevor es weiter geht, besuche ich jedoch noch den Marktplatz und hole mir bei der Stadtinfo den Stempel in den Pilgerausweis.
Mit drei Kugeln Eis von der netten Bedienung im Cafe‘ um die Ecke bewaffnet, kann es nun wirklich los gehen.
Kurz hinter Großenhain hat man noch die Möglichkeit in Richtung Riesa abzubiegen und eine Variante des Weges zu gehen. Sie führt in Riesa über die Elbbrücke und am linken Flußufer entlang, um sich in Strehla wieder mit dem Hauptweg zu vereinen.
Die Hauptroute der via regia verläuft zwischen Elbe und B98 durch Felder und Wäldchen. Kleine Ortschaften liegen verschlafen in der Sonne und gewähren wohlwollend dem hitzegeplagten Pilger schattige Rastplätze. Auf einer alten Eiche thront das Nest der ortsansässigen Storchenfamilie. Es ist faszinierend, zuzuschauen, wie die Eltern ihre Jungen füttern, alsbald wieder aufsteigen, kreisen und hinter den Dächern Richtung Elbeaue davon gleiten.
Lautes Gebimmel warnt die Dörfler vor … einer um die Ecke biegenden Bäckerei auf Rädern. Ein Stück Schokostreuselkuchen, eine Vanillemilch und nette Worte wechseln den Besitzer. „Ich muß noch durch zwei Dörfer. Wenn wir uns dann auf der Hauptstraße wieder begegnen, nehme ich dir die leere Flasche wieder ab.“, bietet mir die Dame freundlicherweise an. Ihr Blick verrät, sie weiß, daß ich nicht noch mehr Ballast gebrauchen kann.
Nächster Halt: Glaubitz. Hier führt die 98 direkt durch den Ortskern. Meine Füße mahnen sich ein Päuschen ein und so ist die nächste, zwar in praller Sonne und auf einer Verkehrshalbinsel, aber in direkter Nachbarschaft zu einem Miniladen mit angeschlossenener Eismaschine gelegene Parkbank die meine. Barfüssig und sonnenbebrillt lehne ich am Rucksack und werde gebruzelt, während ich mir das Eis schmecken lasse. Erinnerungen kommen mir in den Sinn an jene Tage, als ich im Nachbarort Zeithain meinen Grundwehrdienst ableistete. Morgenappell, 20 km mit Marschgepäck. Biwak im Wald, Hartkeks und nächtliche Übungen. Der Umgang mit Kompaß und Karte. Der strenge, aber gerechte Spieß. Der Hauptmann, der mir wegen meines Berufs einen vorzeitigen Ausstieg ermöglichte. Auch das war Lernen fürs Leben. Ich möchte diese Zeit nicht missen, auch wenn ich es gehasst habe, eine Waffe tragen zu müßen.
Direkt am Weg liegt die JVA Zeithain. Für Pilger gibt es hier einen (heute leider geschlossenen) Imbiss und schattige Verweilmöglichkeiten.
Diese Distel
Warum diese Distel? Ich kam heran, Betonknochenpflaster auf dem Gehsteig, daneben grün bewachsenes Bankett. Es war einfach an der Zeit, einmal etwas banales und doch so wunderschönes wie diese Distel zu bewundern. Das muß für die vorbeirollenden Auto und LKW fahrenden Menschen echt schräg ausgesehen haben. Da kniet dieser Mann, zu großer Rucksack, Anfang 40, mitten in der prallen Sonne auf dem Gehsteig einer der am meisten gestreßten Asphaltbahnen der Gegend und freut sich wie ein Kind über…. Tja, leider zu schnell, leider vorbei! Sie werden wohl nie erfahren, was mich so fasziniert hat.
Reize für Auge und Ohr aus Industrie, Gewerbe und hektischem Verkehr umgeben, überholen und durchdringen mich. Die Landschaft ist durchschnitten von Eisenbahnlinien, sich wild windenden Asphaltwürmern und dem großen Fluß als Ruhepol. Man sieht ihn noch nicht aber ahnt, daß er irgendwann auftauchen muß. Auf den ersten Blick erscheint einem dieser Input als zu laut, zu viel. Stau, LKW’s auf dreckigen Betonpisten, Tagebaulärm an einer Kiesgrube. Ich gehe einfach stur der Muschel nach. Der Lärm zieht sich mehr und mehr zurück und mir wird klar, daß der Körper sich an diesem Kontrastprogramm abarbeitet. Es ist eine Abwehrreaktion zum Schutz der eigenen Sinne. Sobald man sich dem negativen Einfluß entziehen kann, lüftet sich der Schleier und der Körper stellt sich wieder scharf.
Endlich kommt die Elbe in Sicht. Darauf habe ich mich schon so lange gefreut. Mitten in Gohlis lenke ich meine Schritte an einer Koppel mit Galloway – Rindern vorbei, direkt aufs Ufer zu. Schuhe fliegen weg, die Socken hinterher. Gerade ist mir total egal, daß aus der Nähe betrachtet, das Wasser gar nicht mal so lecker aussieht. Aber es kühlt , tut gut und ich merke, wie sich alles entspannt. Diese Pausen sind so wichtig. Minutenlang starre ich meine Zehen an und freue mich einfach.
An der Koppel komme ich mit den Besitzern der Rinder ins Gespräch. Er trägt Tattoo’s am ganzen Körper und wirkt irgendwie nach „wilder Jugendzeit“ auf mich. Doch das ist nur der erste oberflächliche Eindruck. Ich darf meinen Wasservorrat bei ihm auffüllen und beim Gespräch über die Tiere werden seine Züge weich. So fachsimpeln wir sicher eine halbe Stunde über seine Rinder, den richtigen Zuchtbullen, unsere Landwirtschaft, Hochwasser und falsch verstandenen Naturschutz im sensiblen Gebiet an der Elbe und den Deichen. „Es gibt Gelder zur extensiven Bewirtschaftung der Deiche. Siehst ja, wie es mancherorts aussieht. Überständiges Gras, kaum Deichpflege durch Schafherden wie früher. Das beeinträchtigt die Stabilität und dadurch auch die Schutzfunktion der Deiche. Das hatte schon alles seinen Sinn und kann oft gar nicht nach wirtschaftlichen Maßstäben gerechnet werden. Viele Probleme mit Mäusen, die den Deichen zusetzen. In den Großstädten werden tausende Taler für Spundwände ausgegeben. Hier hören sie auf, nachzudenken und wenn die Elbe zeigt, wozu sie im Stande ist, machen alle große Augen.“ Dieses sehr interessante, tiefgehende Gespräch lässt mich nachdenklicher und doch sehr dankbar weiter gehen.
An einer Hauswand direkt am Deich darf man sich eine Vorstellung davon machen, was Hochwasser hier bedeutet. Dort, wo ich eben noch selig im Wasser geplanscht habe, wäre ich metertief unter der Oberfläche. Die Marke von 2002 reicht mir bis knapp unter die Schulter. In Gedanken stelle ich mir eine Wasserkante vor und folge ihr mit den Augen zum anderen Ufer. Es verdeutlicht einmal mehr, welch winziges Kuchenkrümel wir, die „Krone der Schöpfung“, in dieser Welt doch sind. Wenn man dann sieht, wie unangemessen, respektlos und nicht selten feindselig wir uns als Dank für freie Kost und Logis verhalten, grenzt es schon an ein Wunder, daß die Natur sich unser nicht schon vor langer Zeit entledigt hat. Eine Zeit lang tappe ich in Gedanken versunken auf dem Deich entlang, beobachte Schafe und einen Storch, der gerade etwas herunter würgt. Es ist wahrscheinlich eine Maus, die nun den Weg durch den langen dünnen Hals in die „Vorratskammer“ antritt. Langsam bewegt sich die dicke Stelle halsabwärts. Bald gibt es wohl einen leckeren Happen zur Nacht für die Jungen?
Meine Blicke werden immer wieder zu diesem breiten blau- grauen Band gezogen, das in diesem Zustand gar nicht bedrohlich, aber doch erhaben aussieht. Strehla kommt auf der anderen Seite in Sicht. Hier gibt es eine Personenfähre. Freundlich grüßt der Fährmann den Pelegrino und setzt ihn für kleine Münze über. Nach knapp 29 km wird es Zeit, ein Nachtlager zu finden. Schnell ist das Tarp, gut im hohen Bewuchs des Deichs versteckt, aufgebaut. Isomatte, und Schlafsack finden ihren Platz. Selbst im Liegen sieht man im Abendlicht die Elbe durch die Büschel von Knaulgras und Binsen schimmern, ab und an ein leises plätschern. So fühlt es sich richtig an. Während ich direkt am Wasser den Kocher für ein kleines Nachtmahl in Stellung bringe, kommt ein Schiff den Fluß hinauf gestampft. Mein winken wird erwiedert. Die nachgezogenen Wellen kräuseln sich noch an den Steinen des Ufers . Dann wieder Stille.
Guten Morgen! … und ein schöner obendrein! Am Tarp glitzern nur ein paar wenige Tautropfen, die Sonne lugt verstohlen über die Deichkante auf der anderen Seite des Flußes, im Nachbarort haben sich die Schafe schon etwas zu erzählen. Die Natur erwachen zu sehen und zu fühlen begeistert mich jedes mal aufs Neue. Völlig innerlich ruhig auf den Steinen am Ufer sitzend und ein kleines Frühstück zubereitend trödeln meine Gedanken wie das Wasser vor sich hin. Wärmende Sonnenstrahlen und ein ganz leichter Lufthauch trocknen Schlafsack und Tarp binnen Minuten. Nachdem all meine Utensilien wieder ihren Platz im Rucksack eingenommen haben, steige ich aus dem Dickicht hervor in die Stadt hinauf.
Strehla ist ein hübsches, auf einer Anhöhe gelegenes Städchen mit Schloß, Tierpark, einem trutzig, gedrungenen Wasserturm und natürlich dem herrlichen Blick auf die Elbe. Noch einmal drehe ich mich um und schaue auf das Ufer, die Wasserfläche und den kleinen Fähranleger auf der anderen Seite. Ab hier entzieht sich der Weg dem Banne des Flußes und streicht weiter durch die heranreifenden Kornfelder, entlang an Wäldern und über die Hügel hinweg gen Westen. Bald schon rückt der markante Kirchturm von Oschatz ins Blickfeld. Eine Bank lädt zu schattiger Rast mit schöner Aussicht über die Felder ein. Das Angebot schlage ich nicht aus und genehmige mir einen Apfel und ein paar Schluck Wasser.
Am knapp 200m hohen Liebschützberg gerate ich bei tollem Rundumblick in ein interessantes Gespräch mit zwei Damen und einem Herrn älteren Semesters, die zwar aus Wittenberg kommen, aber lange Zeit in der Gegend lebten und sich gut auskennen. Sie freuen sich ebenso wie ich über unser Zusammentreffen und wünschen mir Glück auf den weiteren Weg.
Die Sonne brennt heiß und Schatten kann man hier selbst für alles Gold der Welt nicht haben … nicht auf dieser Seite der Bäume. Das scheint nicht nur mir zuzusetzen. Auf einem der Bäume sitzt ein Rabe mit weit geöffnetem Schnabel und beobachtet den herannahenden Wanderer. Als ich fast auf gleicher Höhe bin fliegt er einen Baum weiter und guckt wieder. So einen Reisebegleiter findet man auch nicht alle Tage. In tief schwarz- blauem Schimmer glänzt sein glattes Federkleid in der Sonne. Einige Minuten lang geht das sicher so weiter, bis er sich entschließt, doch im Geäst eines großen Baumes Schutz zu suchen.
Wieder bin ich dankbar dafür, den Weg gehen zu dürfen. Solche kleinen Erlebnisse am Straßenrand, ob Gespräche mit Menschen, Entdeckungen zwischen Steinen und an Bäumen oder Begegnungen mit Tieren machen die Wanderung bemerkenswert und abwechslungsreich.
Eine wahre Oase nach den schattenlosen Kilometern ist Lampertswalde. Man tritt aus den immer gelber werdenden Kornfeldern und dem Staub des Weges herein in einen Mikrokosmos, erstehend aus dem Schutz alter Eichen und dem Grün des Schloßparks mit seinen Wiesen und Teichen. Hier einfach mal ein Stündchen verweilen oder besser zwei ? Das direkt am Park gelegene, einladend wirkende Restaurant schlummert noch während der Schließzeit ein wenig vor sich hin.
Leicht knarzt das Türchen zur Sakristei der Dorfkirche, als ich vorsichtig eintrete. Angenehm dunkle Kühle streicht mir entgegen, ist Balsam für Augen und erhitzte Haut. Mehrere Sitzgelegenheiten, ein Korb mit reifen Äpfeln und Getränke stehen bereit, die Rast angenehm zu machen. Hier gibt man sich den Stempel ins Pilgerheft selbst und wer möchte, darf ins Gästebuch eintragen.
…. bei über 30°C durch die schönen Felder, der Blick reicht weit, die Füße übernehmen den Streß des Kopfes. Diese Art des „unterwegsseins“ ist so einfach… wenn auch nicht mühelos. Danke für den stillen, kühlen Raum und das Wasser …
Man möchte eigentlich nicht mehr in die Mittagsglut und einfach Siesta machen. Weiter! Dahlen ist die nächste von der viaregia gequerte Stadt. Die Hitze ist wirklich schwer auszuhalten, ich könnte locker bei einem “ Wet T-Shirt Contest “ mitmachen. In der Stadtverwaltung frage ich nach dem Stempel und einer Toilette. Beides wird mir gern und freundlich gewährt. Auf dem Örtchen wasche ich mein Shirt und ziehe es gleich so naß wie es ist über. Beim verlassen des Gebäudes schlägt mir die Hitze sofort wieder entgegen. Binnen einer halben Stunde wird das blaue Merino wieder trocken sein. Bis dahin spendet die Feuchtigkeit angenehme Frische auf der Haut. Am Ortsausgang gibts noch eine Eichsfelder Cola zum gleich trinken. So bin ich gewappnet für die nächsten Kilometer Landstraße. Rechts und links erstrecken sich abgreifende Felder, oben brennt Frau Sonne auf mich hernieder, von unten strahlt der Asphalt. Ein Linienbus peitscht an mir vorbei. Von Westen her türmen sich dunkle Wolkenberge und heißer Wind kommt auf. Gewittrige Stimmung liegt in der gespannten Luft. Natürlich kann ich die Eisdiele in Börln nicht ignorieren. Gerade unter dem Vordach mit Sitzgelegenheit Platz genommen, geht der erste Schauer nieder, doch nach 5 min. ist es wieder vorbei.
Bald werde ich mir ein Lager für die Nacht suchen. Die moderne Pilgerraststätte in Dornreichenbach ist jedoch entgegen meiner Annahme nicht zum übernachten gedacht und hat auch schon geschlossen. Also beschließe ich , wieder in den Feldern zu nächtigen. Schon die ganze Zeit ziehen Gewitter umher, mal von Ferne mal recht nahe. Blitze zucken, Donner grollt. Nun aber flott das Tarp aufgeschlagen. Kaum habe ich mich häuslich eingerichtet, bricht eine Gewitterfront über mich herein. Das Tarp flattert im Wind und ein Hering verabschiedet sich auf nimmer Wiedersehen in hohem Bogen Richtung Weizenfeld. Schnell wird ein stabiler Ast eines Birnbaums als Hering umfunktioniert und alle Leinen und Befestigungen nochmals nachgezogen.
Ein Schauspiel dieser Art habe ich noch nie so der Natur ausgesetzt mitereleben dürfen. Es regnet so stark, daß ich mich nur einseifen muß. Den Rest erledigt der Himmel. Frisch „geduscht“ und nach Dr. Bronners 18 in 1 Lavendel duftend, schlüpfe ich in den Schlafsack und lasse das Gewitter tun, wozu es hergekommen ist. Gerade fühle ich mich als Teil meiner Umwelt, nicht als Fremdkörper. Deshalb habe ich keine Angst, auch wenn die Gewalten um mich herum ein anständiges Theater veranstalten. Noch bis weit in die Nacht geht das Spektakel. Gegen Morgen ist der Spuk vorbei, die Natur ist wie gewaschen, eine leichte Brise flattert das Tarp trocken und die Sonne läßt die Regentropfen in den Weizenähren und auf den Blättern der Bäume wie Glasperlen glitzern.
Bald schon legt sich eine Wolkendecke über den Himmel. Ein angenehm kühler, grauer Wandertag steht bevor. Als Tagesziel habe ich mir mindestens Machern auserwählt. Doch erst will Wurzen bezwungen werden. Über ruhige Wege durch landwirtschaftlich geprägte Dörfer, entlang an Wiesen und Weihern kommt man langsam in den Dunstkreis der Stadt. Je mehr das Zentrum naht, umso beschäftigter wird die Umgebung. Ungewohnt nach den vielen Kilometern durch die Natur. Dazu gesellt sich noch ein monotones Hintergrundgeräusch, welches noch identifiziert werden will. Wurzens Herz befindet sich an seiner Peripherie. Hoch und stämmig ragen die Mühlentürme in den Himmel und von da geht der Herzschlag der Stadt aus. Es wird noch lange dauern, bis der Schall der Maschinen von anderen Umgebungsgeräuschen überzeichnet wird.
Eine Zeit lang führt der Weg an der Mulde entlang, quert ihn bald, um sich wieder westwärts gen Leipzig zu orientieren. Kurz vor Machern hat sich jemand viel Mühe gegeben, den Pilgern einen angenehmen Rastplatz zu bieten. Die gemütliche Bank, ein Glas Bonbons und das Heftchen zum hineinschreiben im Kästchen laden zum verweilen ein. Dort darf ich auch meine Wasservorräte auffüllen und wir unterhalten uns kurz. Nicht weit entfernt gibt es eine Pilgerherberge. Elke ist den Weg selbst schon gegangen und bietet nun ihrerseits den müden Wanderern eine Bleibe an. Wir treffen uns, die Freude ist groß. Ich darf sogar duschen und rasch sind zwei Stunden auf der Veranda sitzend, erzählend, bei Limo und Keksen verrannt. Nur ungern breche ich aus dieser gemütlichen Atmosphäre auf, doch ein Stück des Weges möchte ich, jetzt frisch gestärkt, doch noch gehen.
Auf der Karte zerschneidet der Pilgerweg ganz selbstbewußt einen Golfplatz, um sich dann wieder in die Büsche zu schlagen. Schon von weitem sticht weißes Tuch aus dem perfekt getrimmten Grün der Anlage. Unter den weißen Bannern mit schwarz-roten Lettern auf goldenem Emblem stehen deutschakurat selbige Sportwagen geparkt. Sekt wird gereicht und so mancher Karossenbesitzer im mondänen Sportdress versucht sein Glück auf dem Gelände. Wie automatisch erhöht sich meine Schrittfrequenz und bald verschluckt mich der Tresenwald.
Ein Anruf holt mich wieder in die Realität zurück. Nichts schlimmes und doch liegt in der Stimme meiner Frau ein Unterton, der in meinem Bewußtsein einen Schalter umlegt und mich dem Weg entreißt. Ich muß heim! Das sage ich nicht, es steht einfach fest.
So gern hätte ich mich noch mit Freunden in Borsdorf getroffen, doch jetzt zählen andere Dinge. Schon zu lange auf den Beinen, der Rucksack ist schwer, muß schneller werden! Kurz bevor Leipzig seine Tentakel ausstreckt leere ich meine Wasservorräte ( immerhin 5l ) in einen Blumenkübel an der Straße. Blick auf die Uhr. Ja, das kannst du schaffen! Zwei Schritte schneller, noch zwei. Durch die Schlafsiedlungen am Rande der Stadt. Vormals waren das hier eigenständige Gemeinden. Jetzt kann man nicht mehr zwischen Land und Stadt unterscheiden. Der Lärm, der von B6 und A14 ausgeht ist zermürbend und fällt mir sofort auf. Wer mag wohl hier für viele Euro je Quadratmeter sein Nest für Familie und Kids bauen wollen? Es gibt Smog in allen Facetten: Lärm, Licht und Abgase. Ich fühle mich gestresst, schon beim bloßen Durchlaufen dieses Gebietes. Noch ein paar hundert Meter bis zum Bahnhof Engelsdorf.
Geschafft!
Die durchgeschwitzten Klamotten fliegen umher, Schuhe und Socken. Alles wird gegen gesellschaftsfähige Kleidung mit halbwegs zivilisiertem Geruch getauscht. Der Automat spuckt mir das Tiket entgegen. Auf der anderen Seite macht eine Horde Kids auf Fahrrädern und mit einer dröhnenden Boom – Box bewaffnet den Bahnsteig unsicher. Ruhiger wirds erst, als einer der Jungs ein riesiges Spinnennetz inklusive beachtenswertem Eigentümer an einer Laterne bemerkt. Plötzlich sind sie interessiert.
Schon rollt der Zug ein. Innerhalb weniger Minuten wird mein Weg der letzten Tage rückwärts abgespielt. Dann schluckt die Dunkelheit die Landschaft und die Innenbeleuchtung spiegelt sich im Fensterglas. Um 0:01 werde ich zu Hause angekommen sein.