🍀Etappe I – Ökumenischer Pilgerweg (Görlitz-Großenhain)

Die älteste Form des pilgerns ist , es FÜR jemanden zu tun.

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Der erste Schritt.

Es beginnt auf der polnischen Seite der Friedensbrücke. Durch die wunderschöne & historisch absolut bemerkenswerte Görlitzer Altstadt und deren Peripherie hinaus in die Felder und durch die Königshainer Berge führt mich die erste Etappe meines Weges. Der ökumenische Pilgerweg ist Teil des europäischen Jakobswegenetzes und kann mit einer der besten Infrastrukturen für Pilger deutschlandweit aufwarten. Wegführung, Herbergsangebote und die Aufgeschlossenheit der Menschen entlang des Weges sind erfrischend, machen jeden Schritt leichter, vergnüglicher.

Leute, die ihn gegangen sind, sind sich einig: „Die Oberlausitz ist eine Perle am Wegesrand. Besser noch, der Weg führt genau durch diese Perle hindurch.“

Im Zyklus des Jahres präsentiert sich die Natur in neuem Gewand und will bewundert werden. Das Auge wird gefordert, an den üppig weichen Rundungen,  die sich im Süden mit den Höhenzügen der angrenzenden Gebirge vereinen, entlang zu streichen, sich dabei aber nicht zu sehr in der Weite zu verlieren, um die kleinen Begegnungen am Wegesrand nicht zu verpassen. Die Distelblüte mit dem Kohlweißling, der so verliebt in deren Nektar ist, wird der in Silber gefasste Amethyst um den Hals unserer Schönen. Die wie aus einer anderen Welt scheindende und doch so nützliche Marienkäferlarve ist er wackere Ritter, der Ungeziefer aus ihrem Reich vertreibt. Der dicke, schwarz glänzende Mistkäfer auf dem laubbedeckten Weg, der mir schon als Kind bei jeder Begegnung ein erstauntes Glänzen in die Augen gezaubert hat und dies noch heute tut, wird zum Onyxring, der ihre Hand ziehrt.

Es ist so einfach, einen Fuß vor den anderen zu setzen in dieser schönen Umgebung. Nicht leicht natürlich, wenn der Weg sich bergan bis zum Hochstein schlängelt, die Knie gefordert werden, wenn es auch wieder hinunter geht, aber einfach.

Im liebevoll gestalteten und für Pelegrinos wunderbar ausgestatteten Pfarrhof zu Arnsdorf verweilt man gern, holt sich womöglich seinen ersten Stempel auf den Pilgerausweis mit dem guten und wertvollen Rat, ein Stück Serviette zwischen die Seiten zu legen. „Damit die Tinte nicht verwischt.“ So wird auch sie ein Teil des Weges und hat das Abenteuer ihres Lebens beim aufsaugen der Tinte aus den verschiedensten Regionen, aus Kirchen, Herbergen und Selbstbedienungsblechkisten hinter aufschiebbaren Holzfenstern am Wegesrand.

Als die Sonne den Feierabend einleutet, sammeln sich die Schwalben zum Abendkonzert. Die Füße stimmen dem Kopf zu und ein Nachtlager wird ausgespäht. Ein paar Bissen zur Nacht, ein liebes Telefonat mit zu Hause und der Schlaf kommt. Gelassen und ruhig, aber mit voller Kraft.


Zwei.

Die Eiche bietet am Morgen dem Zelt nur wenig Schutz vor der noch tief stehenden Sonne und deren Wärme. Heut wird ein heißer Tag. Gehen ist das Ziel. Vorher: Ruhige Minuten beim Blick in die blauen Flämmchen des Kochers. Sein leises Fauchen mischt sich ins Morgenlied eines Vogels. „IM NU“ Malzkaffee ist ein Highlight des Tages. Beim Aufbruch werden nur Erinnerungen mitgenommen und nur Fußspuren hinterlassen. #leavenotrace

Zwischen Feldern und kleinen, schick gemachten Dörfern führt der Weg gen Weißenberg. Eine Kindergartengruppe erkundet den Wald. „Kuck ma, der Alte mit dem großen Rucksack!“, höre ich. Kindermund tut Wahrheit kund.

Eine granitene Bank auf dem Marktplatz im Schatten des Museums „Alte Pfefferküchlerei“ lädt ein, die versprochenen Zeilen an Freunde & Familie zu Papier zu bringen und in die Post zu geben.  Ein Rucksack mit Muschel biegt um die Ecke und verschwindet aus dem Blickfeld. Ein nettes Gespräch mit einer Frau aus dem Museum.

Gröditzer Skala. Hier hat das Löbauer Wasser erneut ganze Arbeit geleistet und ein liebliches Tal geschaffen. Die Einbaumbrücke hilft beim überqueren des Flusses. Schmale, weiche Pfade führen an alten Bäumen vorbei zu Lichtungen und durch meterhohes, über und über blühendes Springkraut hindurch, dann aprupt steil hinauf zum Gröditzer Schloß und zur Pilgerherberge. Dort gibts sonnenbeschirmte Ausruhmöglichkeiten, nette Gespräche mit Handwerkern, die im und am Schloß werkeln und ein Kaltgetränk plus Stempel in den Ausweis. Schnell wird noch der Herbergsmutter zur Hand gegangen beim ausladen des Einkaufs und schon verlasse ich Gröditz Richtung Wurschen. An einem schattigen Rastplatz einige Meter hinter der Riegelmühle fällt der selbstgetragene Lastenesel vom Rücken. Nur 10 Minuten. Die Schultern jubilieren. In der Waagerechte angekommen, geben sich die Augen geschlagen und die Lider fallen zu…. für 15 Minuten…

Einige Perlen liegen am Wegesrand. Man braucht sie nur mit den Sinnen aufzusammeln. In Wurschen ist es das Wasserschloss mit herrlichem Schlosspark. Im wunderschönen Drehsa sind es blühende Bauerngärten, liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser, der alte Wasserturm mit Aussichtsfunktion und das Schloß mit seinem hoffnungsvollen Neubeginn und der tragischen Geschichte.

Drehsa und Kubschütz verbindet ein Hohlweg mit Obstbaumallee. Ein Mann pflückt Birnen und schenkt mir ein paar der süßen Früchte. „Kaum einer schert sich um die Früchte. Lieber wird im Supermarkt gekauft. Hier wäre es kostenlos und doch keines wegs umsonst.“ Ein „Schüttle mich“ verhallt auch hier nur all zu oft ungehört. Während wir es uns schmecken lassen, gibt es interessante Erzählungen zur Gegend und Neuigkeiten entlang des Weges. Ein Herr älteren Semesters wurde am Weg gesehen. Er sei aus der Schweiz, heißt es und er habe körperlich einige Schwierigkeiten. “ Vielleicht triffst du noch auf ihn“.

Die Sonne meint es gut. Zu gut, will man fast meinen. Der Rucksack wird schwer, aber der Weg ist so schön.

Entlang meines Weges finde ich immer wieder Möglichkeiten zum Verweilen. Aufgestellte Bänke und liebevoll gestaltete Sitzecken laden dazu ein. Auch in Kubschütz wird man fündig. Eine Nachbarin sorgt für Bewirtung mit kalten Getränken und erzählt von lustigen und zum nachdenken anregenden Begebenheiten hier am Pilgerweg.

Gegen Abend, die Silhouette der Bautzener Vorstadt mit Einkaufsläden, Fachmärkten, Tankstellen und Neubauten ist greifbar, bietet sich ein geschützter grüner Streifen an einem Bach als Unterschlupf und Nachtlager an. Schnell ist das Zelt aufgeschlagen, die Füße im Bach heruntergekühlt. Ein kleines Nachtmahl ist schnell gezaubert. Zu spät bemerke ich allerdings die Ameisenautobahn vor dem Eingang. Aber mit einem großen Schritt meinerseits können unnötige Opfer vermieden werden.


Tag drei

In der Nacht plagt mich ein leichter Schmerz in den Beinen. Nichts gewohnt halt und Muskelkater. Früh am Morgen die übliche Zeremonie. Essen, trinken, waschen, packen. Noch eine Minute die Ruhe genießen, eine Hundeläuferin kommt vorbei. Auf nach Bautzen, die Hauptstadt der Sorben. Reich an Geschichte und Geschichten haben die Mauern viel zu erzählen. Graffittis machen selbst die tristeste Reihengaragenrückwand zum Kunstobjekt, die abgebröckelte Betonmauer ziert eine von Könnerhand aufgebrachte Buchstabenreihe. Ja, die stümperhaft darübergeschmierten Tags stören, wie schon immer. Efeu, Brombeere und Hagebutte steuern das Stück Quotennatur bei. Manch allzu vernachlässigtes Gebäude wird zurückerobert und besetzt: Pilze und Moose bereiten den Weg und die schwere Technik kommt in Form von Ahorn, Birke und Schlingpflanzen daher.

Durch die baumbestandene Promenade herunter zur Stadtmitte tragen mich die Füße über den Holzmarkt vorbei an Läden und stickerprangenden Stoppschildpfosten in Richtung Dom. Noch ein wenig Zeit zum ausruhen bleibt, bis der seine Pforten öffnet. Heute ist Orgelintonation. Leise zünde ich eine Kerze an, bin in Gedanken bei den Lieben und lausche wie der Königin der Instrumente Manieren beigebracht werden.

Ein Softeis auf die Hand, kurzes  Verweilen am Brunnen und schon führt der Weg hinab zu den Grundmauern der Stadt. Hier unten an der Spree liegen die ältesten , mit Geschichte nur so getränkten Gebäude. Das historische Pflaster flüstert im vorbei gehen die Geschichten, die sich hier wohl zugetragen haben. „Nimm dir Zeit, setz dich doch, höre zu…“

Von den Wurzeln der Stadt führt der Weg stets bergan ins sorbische Umland. Zeit für eine Stärkung genehmige ich mir an einer Granitsäule, die an die Zeiten der Landvermessung erinnert. Immer wieder Blicke zurück auf die im leichten Dunst liegenden Türme der Stadt.

Die Sonne meint es gut. Manch alter Straßenbaum gewährt Schatten für Momente. Am Milleniumsdenkmal nahe Schmochtitz, direkt am Rande des Weges nehme ich erneut das Angebot einer Holzbank dankend an und raste, lange. Die Füße danken es mir mit erleichtertem Fortkommen.

Schon naht der Mittag. Rucksack runter, Schuhe aus, Socken weg und aaahh… das kühle Naß des Schwarzwassers tut Füßen und Waden gut. Wasserpflanzen umschlängeln meine Füße sanft. Hartkeks und Minisalami erfreuen den Gaumen. 5 min. nicke ich ein.

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Weiter windet sich die wie ein asphaltierter Hohlweg geformte Straße durch die Felder. Hitze, und das ständige schief gehen setzen mir zu und so wechsle ich ab und an die Straßenseite. Ob das nur mir schwer fällt, so zu gehen? Ein Anwohner spricht mich an, meint, meine Pein zu erkennen, bietet mir Wasser an und ein nettes Gespräch ( mit Erhohlungseffekt) über die Landwirtschaft ist eine immer willkommene Abwechslung. „Besuch doch die netten Damen in der Pilgeroase“ und „Glück auf den Weg“, höre ich noch . Schon weisen auch Schilder die richtige Richtung.

„Kommen Sie! So ein schwerer Rucksack. Setzen sie sich doch! Was zu essen? Zu trinken? Duschen? Hier bleiben? oder weiter ziehen?“ Die Dorfmitte am Fuße der Kirche zu Crostwitz bietet den Pilgern ein Kleinod zur Erholung, Rast und Stärkung. Drei Damen sorgen sich wirklich rührend, erzählen, nehmen sich Zeit und organisieren bei Bedarf . Gern nehme ich das Angebot an und hüpfe erstmal unter die Dusche. Erfrischt und frohen Mutes geselle ich mich zu den anderen unter den Sonnenschirm und genieße ein Stück Kuchen.

„Wir haben einen Gast aus der Schweiz.“ Bald gesellt dieser sich zu uns. Ein älterer Herr, der schon viel erleben durfte auf dieser Welt. Er erzählt, er hätte Hüftprobleme und diese schiefen Straßen hätten ihm den Rest gegeben. Oben in der Kirche habe er ein Stoßgebet gen Himmel gesandt und darum gebeten, daß ihm Hilfe zuteil werde, sonst könne er nicht weiter. Und die Hilfe kommt in Form der „Pilgeroase Crostwitz“ daher. Unglaublich für ihn. Sofort fingen die Damen an, sich für ihn ins Zeug zu legen, um ihm den Aufenthalt so bequem wie möglich zu machen, und eine Weiterreise wieder in greifbare Nähe zu rücken. Ein gangbares Fahrrad wird aus dem Schuppen geholt. „Damit kannst du deinen Weg fortsetzen!“ Bis Leipzig möchte er es schaffen, aber wohin mit dem Fahrrad? „Kein Problem, lass es einfach bei einer Freundin dort stehen, es kommt schon irgendwie wieder heim.“ Er ist glücklich. Nach einer Probefahrt steht fest, keine Schmerzen beim Fahren. Hurra!

Mich zieht es weiter. Ein Blick zurück in Dankbarkeit über die kennengelernten Menschen und die Gastfreundschaft. Ein wunderschöner Hohlweg führt mich in den Sonnenuntergang und in Richtung Panschwitz – Kuckau.

Unterwegs hält eine Frau an, erkundigt sich nach meinem Befinden und bietet eine Unterkunft an.  Ich danke vielmals, doch das Zelt ruft.

Panschwitz – Kuckau , eine Hochburg der katholischen Sorben und bekannt für sein Kloster St. Marienstern (Pilgerherberge), sowie das alljährliche festliche Osterreiten quere ich in der Abenddämmerung der Länge nach. Mitten zwischen den Feldern, an einem ruhigen Feldweg, hinter Hagebutten und Haselnußsträuchern versteckt, entsteht fix das Nachtlager. Die Sonne glüht hinter dem Horizont noch nach und färbt den Himmel rot, während der Kocher sein leises Lied anstimmt. Friedliche Minuten.


4.

Im Morgengrauen bringt eine Mutti ihre Kids zum Kindergarten. Der Strahl des LED – Fahrradlichts streift blau und lautlos durch das Zelt.

Zeit aufzubrechen!

Durch die Fluren und wunderschönen Dörfer läuft es sich trefflich. Kamenz: Was für eine Freude. Ich treffe den immer noch fröhlichen Schweizer an einer Gedenkstätte für Opfer eines KZ’s. Wir nehmen uns lange Zeit zum erzählen. Er bekräftigt nochmals, wie froh er ist, diesen Weg weiter bestreiten zu können. Das Fahrrad ist Gold wert. Wir verabschieden uns, auch wenn es unwahrscheinlich erscheint,  mit „Auf Wiedersehen !“. Ich nehme eine schmale Steintreppe Richtung Innenstadt.

Knatternde alte Gefährte, unkatalysierter Vier- und der so an „früher“ erinnernde Zweitaktgeruch liegen in der Luft. Am Hutberg scheint ein Oldtimertreffen zu sein. Motorräder, Autos und LKW – Veteranen kämpfen sich tapfer die steile Stichstraße hinauf. Manche so langsam, daß man meint, sie zu Fuß überholen zu können. In der „Gipfelbaude“ dann benzinhaltige Gespräche mit den Bedienern der Klassiker. Als Belohnung für den steilen Aufstieg kühlen viele ihre Kehlen mit frisch gezapftem. Für den  hungrigen, abgekämpften Wandersmann gibts Bockwurst mit Senf und Semmel, sowie einen großen Spezi.

Wieder bergab und weiter zieht sich mein Weg an Feldern , Obstbaumalleen und Wäldern entlang. In Reichenau plötzlich Gegacker scheinbar mitten im Wald. Eine Geflügelfarm mit Freilandhaltung.

Eigentlich ist es Zeit für ein Eis. In Königsbrück werde ich sicher fündig. Belohnung muß sein! 5 min. vor 6 komme ich auf dem Marktplatz an und sehe, wie die Eisverkäuferin gerade ihren Aufsteller vom Bürgersteig nimmt. Noch einen Schritt schneller, mit festem Blick auf die Dame. “ Kann ich noch…..?“. „Ja, Ja, keine Eile, ich hab Sie schon kommen sehen.“, fällt sie mir lachend ins Wort. 3 Kugeln wechseln den Besitzer, PLUS eine zusätzlich und kostenlos als Pilgerrabatt. Sehr dankbar und stolz auf dieses wirklich wunderbare Eis, grinse ich vor mich hin und sogar ein kleiner Junge mit seinen Eltern freut sich und staunt über diesen “ Vierer im Lotto“. Sie wünscht mir einen guten Weg und rät mir, nicht im Dunkel durch die Heide zu gehen, wegen der Wölfe. Selig schlendere ich auf dem Gehweg hinunter Richtung Kirche. Von Weitem sehe ich schon Menschen zu mir schauen. Der Küster ist gerade auf dem Weg zur Kirche und läd mich auch gleich zur Besichtigung des Glockenturms ein. Mit Eis geht man nicht in die Kirche! Deshalb danke ich von Herzen, muß aber leider ablehnen, so sehr mich das auch interessiert hätte. „Dann schicke ich dir das Abendgeläut mit auf deinen Weg.“

Während ich die historische Brücke über die Pulsnitz überschreite, klingt es aus dem Turm und es fühlt sich an, als ob die Glocken diesmal nur für mich spielen.

Am Armenhaus, einem historischen, liebevoll wieder instandgesetzen kleinen Gebäude am Rande der Weges gibt es eine gemütliche Bank, einen Apfelbaum, der über und über mit reifen Früchten prahlt und einen hinter einem Schiebefenster versteckten Stempel in den Pilgerausweis. Dort kann man als Pilger auch übernachten. Die Abendsonne läßt mich auf der Bank noch etwas verharren und einfach den Moment genießen.

Hinaus aus der Stadt, ein Stück entlang der Peripherie gelangt man direkt in die Laußnitzer Heide. Sie vereint sich nördlich mit dem Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide zu einem riesigen zusammenhängenden Wald.  Dort sollen die Wölfe ihr „Unwesen“ treiben. So nehme ich die gesammelten Kräfte aus Eis, Pause und freundlichen Worten zusammen und begebe mich auf den ca. 5 km langen Pfad in den Wald hinein. Ein letzter Sonnenstrahl kleidet die kleine Lichtung in Gold und zaubert ein Glitzern in die Bäume. Nach einer Weile wird es still. Vögel beenden mit einem letzen Zwitschern ihren Tag. Die Dämmerung bricht rasch herein und bald kann man den Weg nur noch erahnen. Kein Problem, sich hier im Dunkel zu verlaufen, denn auch die wegweisenden Muschelzeichen sind kaum mehr erkennbar. Wenn das Auge nachläßt, werden die übrigen Sinne wacher. Jedes knacken im Wald wird registriert und läßt einen aufmerken.

Kurz bevor sich der Weg gänzlich im Schwarz der nächtlichen Heide verliert, tauchen Lichter zwischen den Bäumen auf. Die ersten Vorposten der zurückgewonnenen Zivilisation zeigen sich in Form von Laternenmasten und tragen schon zu einer gewissen Erleichterung bei.

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Es soll hier in Tauscha eine Pilgerherberge geben. Ein wenig ziellos irre ich durch den Ort. „Hallo, suchen Sie etwas?“, kommt eine Stimme aus der Dunkelheit. „Äh, ja die Pilgerherberge. Ich bin etwas spät dran.“ Freundlich bekommt der abgekämpfte Typ mit dem riesigen Rucksack eine kurze und einfache Wegbeschreibung zur “ Pension am Heidebogen“.

Wenig später werde ich völlig unerwartet schon erwartet. Als ich aus dem Schatten trete, bin ich dann doch nicht der Erwartete. Nichtsdestotrotz werde ich herzlich eingeladen. Und wer sitzt mit am Tisch? Der Schweizer und das Mädchen, von dem ich in Weißenberg vor Tagen nur die Rückseite des Rucksacks zu Gesicht bekommen hatte. Die Freude ist groß, das „Auf Wiedersehen !“ in Kamenz war gerechtfertigt und es gibt sofort einiges zu erzählen.

Da gerade die Pension umgebaut wird, darf ich im eigenen Zelt auf der Wiese campieren. „Wir sehen uns morgen zum Frühstück“. Die Herbergsmutti flüstert mir noch schnell zu, daß das Mädchen morgen Geburtstag hat. Flux wird im Schein der Stirnlampe aus ein paar Lederstückchen, Riemchen und Garn ein kleiner Talisman gezaubert, bevor der Schlaf kommt.


Day Five

Gleich gibts echtes Frühstück. Ich bin hell wach, trotz der > 30 km gestern. Als alle bei Kaffee, selbstgemachter Marmelade und warmen Brötchen in der gemütlichen Kutscherstube zusammen sitzen, gibts sogar ein Ständchen für das Geburtstagskind. Der Talisman wird übergeben und zaubert ein Lächeln. Nachts kam noch ein Besucher der anderen Art. Er hat im leeren Pferdestall übernachtet. Der kleine ist so niedlich und doch wehrhaft in seinem Stachelkleid.

Ein Erinnerungsfoto später stehen wir gut gefüttert wieder auf der Straße und entscheiden, ein Stück des Weges gemeinsan zu gehen. Bald verabschiedet sich der Schweizer nochmals sehr herzlich und radelt davon, dreht nach ein paar Metern nochmal um, kommt wieder auf uns zu, winkt wie verrückt und lacht, um nach einer erneuten Kehrtwendung endgültig zu entschwinden.

Trotzdem wir Fremde sind, gibt es viel zu erzählen. Das macht das Laufen kurzweilig und die Kilometer vergehen schneller. Bereits reife Früchte vom Wegesrand werden gern und dankend angenommen. Bei Thiendorf kreuzen wir die A13 und steuern auf die bunt geschmückte Gemeinde Schönfeld zu. Scheinbar platzen wir mitten in ein Fest hinein. Im alten Wasserschloß spielt eine Kapelle und viele Menschen sind auf den Beinen. Einige schütteln uns die Hände und wünschen uns „Bon Camino“. Wir sind die einzigen mit großen Rucksäcken hier und stechen daher vielleicht etwas aus der Masse heraus. Perplex sind wir trotzdem.

Viele der Figuren und aufgestellten Dinge am Wegesrand weisen auf den Pilgerweg nach Santiago hin. Die Eisdiele braucht noch ein paar Minuten, bis die Leckereien fertig sind. Die nutzen wir, um unseren Füßen etwas Luft zu verschaffen. Meine Füße machen sich zwar bemerkbar und melden zuverlässig nötige Pausen, verrichten aber sonst ihre Aufgabe sehr gut und ohne Blasen. Anders bei ihr. Schnell wechseln großzügig Blasenpflaster den Besitzer und kommen auch gleich zum Einsatz. Sieht etwas schmerzhaft aus. “ Eis ist fertig „, ruft es um die Ecke. Für jeden gibt es eine große Portion. Das lindert auch das Fußweh etwas.

Langsam neigt sich der erste Abschnitt meines Wege dem Ende zu. Doch die Wolken verdunkeln sich schnell und schon gießt es wie aus Kannen. Regenschutz drüber und weiter. Eigentlich ist das prickeln im Gesicht nach der vielen Hitze eine Wohltat.

In Folbern werden wir von meiner lieben Frau und den Kindern abgeholt und fahren gemeinsam noch das kleine Stück nach Großenhain. „Alles Gute auf deinem Weg.“ , verabschieden wir uns.

Doch bevor es heimwärts geht, muß der Auspuff unseres Autos repariert werden. Ein Schwalbenfahrer schenkt uns einen dreizehner Schlüssel. Damit bekommen wir die Schelle wieder fest und können den Heimweg antreten.


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